Löcher im Schuh

■ Bremer Alternativen 1: Seit zwölf Jahren gibt es den Bremer Topf, das Plenum von 40.000 Menschen, die sich selbst helfen

Selbsthilfe? Gertrud Stoevesandt schließt erst einmal ihren Hund weg (“Bellende Hunde beißen“). Dann sagt sie „Der Ausgangspunkt ist: Wo drückt der Schuh? Und manchmal muß man dann gar keine Selbsthilfegruppe gründen, sondern einfach ein Loch in den Schuh schneiden.“

Ein abgeklärter Satz von der Frau, die seit weit über zehn Jahren zwischen Bremens Selbsthilfewelten und den wechselnden SozialsenatorInnen das Bindeglied spielt. „Gertrud Stoevesandt“, sagt Anja Blumenberg, langjährige Mirarbeiterin des Selbsthilfe Netzwerks; „Gertrud Stoevesandt hat uns immer wie die Henne ihre Küken in ihrer Verwaltung verteidigt.“

Vieles hängt an Personen, wenn die Zusammenhänge nicht formalisiert sind (vielleicht auch, wenn sie es sind); „ich weiß nicht“, sagt beispielsweise Albrecht Lampe, „ob das nicht alles auseinanderfliegt, wenn Clemens Müller wegginge.“

Die beiden gehörten Mitte der Achtziger Jahre zu den Gründern des Bremer Topfes; Lampe beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrstverband, Clemens Müller über den Gesundheitsladen. In gemeinsamer Lobbyarbeit mit dem Verein Selbsthilfe Netzwerk entstand – nicht Fisch, noch Fleisch, weder Partei noch Verein - der Bremer Topf: jener brodelnde Bremer Eintopf, dem sich heute 220 der rund tausend Selbsthilfegruppen Bremens – immerhin 40.000 Menschen – zugehörig fühlen. Zwischen 40 und 50 von ihnen bilden den harten Kern und organisieren in einem lockeren Plenum alle sechs Wochen die politischen Belange der Bremer Selbsthilfebewegung: „Vom Halstuch- bis zum Schlipsträger eine freie Diskussion von freien Menschen “, sagt Clemens Müller.

Mit Erfolgen: Seit Anfang der Neunziger Jahre gibt es einen Fördertopf für Selbsthilfe bei der Sozialsenatorin. Besser gesagt: bei Gertrud Stoevesandt. Und es gibt ein ausgeklügeltes Mitsprachesystem – vor allem aber eine größere Transparenz – bei der Vergabe der Fördermittel. Dafür sorgt der Bremer Topf – notfalls auch mal mittels Vorsprache bei der Senatorin.

Vor allem aber entstand damals, vor gut zehn Jahren, jenes Zusammengehörigkeitsgefühl von dem noch immer die Rede ist, wenn es um den „Topf“ geht: Jener Grundkonsens, daß Selbsthilfe jenseits von Sozialmarkt oder kommunitaristischem Benevol Emanzipation sei: Die beste Fachfrau für mich selbst bin noch immer ich. Der Bremer Topf lebte von diesem Gefühl. „Das war ein so derartig gelebter Ort von Demokratie“, schwärmt Sabine Bütow, die in der Beratungsstelle „Netzwerk Selbsthilfe“ arbeitet. Und eigentlich sei er es ja auch noch heute. Eigentlich. Denn im vergangenen Sommer gab es Knatsch. Nicht nur einmal.

Das hängt vielleicht damit zusammen, daß auch der Bremer Topf seine formalen Strukturen hat. „Oder zuwenig“, sagen heute andere. Da gibt es zum Einen den Beirat. Der ist zwar vom Plenum gewählt – gegenüber dem Senat aber verhandelt er nur über die Selbsthilfeförderung von Gesundheit, Krankheit, Behinderung. Trotzdem: „Was der Beirat sagt, das betrifft alle“, sagt Clemens Müller schon mal – und leise widerspricht dann Sabine Bütow: „Clemens, du vergißt die Frauen.“ Die vertreten sich selbst. Auch die Arbeitslosen-Gruppen, die Eltern-Kind-Gruppen. Im Plenum des Bremer Topfes können sie trotzdem unter Gleichen mitdiskutieren.

Zum anderen gibt es die Unterstützerstellen. Die sind sozusagen die Geschäftsstellen der Bewegung. Im Bremer Topf ist das die Selbsthilfe-Unterstützung und die saß bis 1997 im Gesundheitsladen. Mit drei festen MitarbeiterInnen, rund 200.000 Mark Steuergeldern im Jahr und einem Haufen Arbeit: Alle Arten der Gruppen-Beratung, der Fortbildung; Diskussion mit Ärzten und Kassen; Herausgabe eines Wegweisers durchs Selbsthilfe-Wirrwarr für Ratsuchende und Ärzte (gerade gibt es eine aktualisierte Fassung); die Organisation der Selbsthilfetage, alle zwei Jahre, in der Unteren Rathaushalle: immerhin die größten ihrer Art in ganz Deutschland.

Jede Menge wichtiger Projekte – und trotzdem vielleicht nur der Wasserkopf einer Bewegung? Im Bremer Topf will das keiner so sehen. Doch seit das Plenum seine Unterstützerstelle nach monatelangen Konflikten aus dem Gesundheitsladen herauslöste, ist ihre Zukunft offen. „Natürlich muß man immer auch schauen, ob die Arbeit nicht von den Selbsthilfegruppen selber getragen werden kann“, sagt Gertrud Stoevesandt. Immerhin seien es zehn Prozent der Gelder, die in die Unterstützerstelle statt direkt in die Selbsthilfeprojekte fließen: „Ich kann das nicht ausschließen, daß das Ganze nochmal auf den Prüfstand gestellt wird.“

Im Juli wird jetzt erstmal entschieden, wo die Selbsthilfe-Unterstützung auf Dauer unterkommt. Beim Verein Selbsthilfe Netzwerk? Dafür sprach sich jetzt der Bremer Topf aus. Mitbewerber sind aber auch der Paritätische und der Gesundheitstreffpunkt West. Immerhin geht es um viel Geld und ein riesiges Klientel. ritz

Die Selbsthilfeunterstützung ist tel. unter 4988634 zu erreichen