Aus dem Etui

■ Vier sensible Filme aus urbanen Klumpen ("Frankfurt nebenan", So., 21.15 Uhr, 3 Sat)

Der unerwartete Tod eines Kioskbesitzers weckte die tiefe Anteilnahme eines Frankfurter Stadtviertels. 30 Jahre lang stand Hugo Meyer täglich von sieben Uhr morgens bis neun Uhr abends in seinem Büdchen. Rentner, Rechtsanwälte, Dirigenten und Obdachlose kauften sich für kleines Geld Zeitungen, Zigaretten, Süßigkeiten. Und ohne es zu wissen, kaufte jeder immer etwas mehr als bloß Zeitungen und Zigaretten.

Diesem „etwas mehr“ haben die Filmemacher Dieter Reifarth und Bert Schmidt in ihrer Miniatur „Hugo Meyer – ,Der kleine Prinz vom Oeder Weg'“ auf subtile Art nachgespürt. Mit leisen, diskreten Bildern halten sie fest, wie am Tag nach dem Tod jemand ein Grablicht vor dem geschlossenen Klappladen aufstellt, wo sich sonst die Magazine stapeln. Auf dieses Zeichen hin füllt sich der Holztresen mit Blumen, Kinderzeichnungen und Beileidsbekundungen.

In Gesprächen mit Passanten, Anwohnern und Angehörigen schälen Reifart und Schmidt ohne überflüssige Off-Kommentare heraus, welch tragende Funktion dieses Wasserhäuschen für das Stadtviertel hat. Die unaufdringliche Ruhe des Films hinterläßt einen tiefen Eindruck.

Dieser Streifen bildet den Auftakt einer kleinen Reihe von Filmen, in denen die Autoren auf ähnliche Weise zeigen, wie die Großstadtmaschinerie gelegentlich und am Rande durch eine Art urbaner Klumpenbildung aus dem Takt gerät. „Vivace“ (1989, 14 Minuten) ist ein Film über die Frankfurter B-Ebene. So mechanisch wie die leere Bierdose sich fort im Rolltreppenabsatz dreht, hasten hier Passanten zu den Zügen. Plötzlich entlockt ein Stehgeiger, der aussieht wie eine Mischung aus Catweazle und Hobbit, seiner Violine ein Zwitschern. Er begleitet es mit einem Tanz.

Mit geduldiger Genauigkeit zeigt der Film die Reaktionen auf den Gesichtern der Zuschauenden und Weitergehenden. Für Momente scheint die Fremdheit der U-Bahnpassage aufgehoben. Ähnliches dokumentieren Reifarth und Schmith in „Zeil“ (1989, 45 Minuten), einem Film über die umsatzstärkste Verkaufsmeile Europas. Spannend zu beobachten, wie das hektisch-aggressive Aneinander-Vorbeigleiten menschlicher Körper immer wieder stockt, sobald ein (Streit-)Gespräch über Gott oder die Nazis Menschen einander zuwenden läßt.

Höhepunkt der Reihe ist „Bücher“ (1986, 11 Min.), eine virtuose Studie über eine 25 Quadratmeter große Buchhandlung, in der die Taschenbuchsäulen sich bis unter die Decke stapeln. Während der Buchhändler mit meditativer Souveränität die Statik des Wissens handhabt, sinniert der hessische Homer im inneren Monolog darüber, daß er mit seinen veralteten Methoden nicht mehr ganz in die Zeit paßt. Wie Hugo Meyer lebt der Buchhändler in einem urbanen Etui. „Bücher“: Ein Kunstwerk, das man aufzeichnen und Freunden zeigen muß. Manfred Riepe