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Inszenierte Bescheidenheit

Zusammenlegung jetzt! Die Bestände der Gemäldesammlungen Berlins sind seit gestern in einem Neubau zu sehen  ■ Von Harald Fricke

Bekanntermaßen wächst Peter Radunski mit jedem kulturellen Highlight, das er setzt, noch ein bißchen mehr über sich hinaus. Diesmal war sein Auftritt ganz groß: Schon vor der Eröffnung der neuen Gemäldegalerie am Kulturforum schickte der Kultursenator einen Gruß mit den Worten, daß Berlin endlich „in der Champions League der Weltmuseen“ angekommen sei. Außerdem werde man für die derzeit neunzehn laufenden Museumsprojekte in den kommenden zehn Jahren rund 2,14 Milliarden Mark verbauen, wovon der Senat „rund die Hälfte“ selbst tragen will. Wer die gewaltigen Berliner Baupleiten aus jüngster Zeit kennt, kann sich über diese sehr locker herbeigezauberten Zahlen bloß wundern.

Die 285 Millionen Mark für die Gemäldegalerie sind jedenfalls ausgegeben, und man muß sagen: Es hat sich gelohnt. Wer den Weg durch die Steinödnis hinter der Neuen Nationalgalerie gefunden hat, sieht sich in dem Ende letzten Jahres fertiggestellten Neubau mit einem Museum konfrontiert, das sein Publikum zurück ins 19. Jahrhundert führen will, in eine Zeit, da die bürgerlichen Kunst- und Sammlungsvorstellungen die königlichen Schatzkammern allmählich ersetzten. Dafür hat man Glasdecken mit reinem Tageslicht eingezogen, deshalb wurden sämtliche Wände mit feinem Samt in gedeckten Farben überzogen und geschmackvolle Sitzbänke aus Birnenholz aufgestellt. Unwillkürlich hat man das Gefühl, in eine märchenhafte Welt versetzt zu sein, in der Kunst noch eine „angemessene Haltung“ verlangte, von der Goethe sagte, daß man sich ihr nur wie einem hohen Herrn nähern dürfe – immer vorsichtig darauf wartend, daß er einen anspricht.

Die Bilder, die man dem Publikum in Berlin für diese hohe Schule der Ästhetik anbieten kann, sind allerdings auch großartig. Wo sonst kann man schon um die Ecke in eine Kammer biegen, in der ein gutes Dutzend Bilder von Lucas Cranach d.Ä. aufgehängt sind? Der Effekt dieser inszenierten Bescheidenheit ist tatsächlich faszinierend. Man ist erfreut und läßt sich gerne belehren, genau so, wie es schon die Gründungsdirektoren des Alten Museums 1830 im Sinn gehabt hatten.

Mit der Zusammenlegung der nach dem Krieg in Ost (Bodemuseum) und West (Gemäldesammlung Dahlem) getrennten Bestände ist das Haus jetzt wieder an diesem Ausgangspunkt museologischer Phantasien angelangt: Aus jedem Winkel und über alle Raumfluchten hinweg lächeln einen die alten Meister an. Im rechten Flügel die nordeuropäische Linie der deutschen, flämischen, niederländischen oder englischen Malerei, von Dürer und Cranach über den älteren Bruegel und Vermeer hin zu Watteaus lieblichen Landpartien oder Sir Joshua Reynolds blassen britischen „country gentlemen“. Wer den Rundgang durch die hufeisenförmige Saalanordnung links beginnt, wird durch die italienische Renaissance zu Caravaggios verführerisch lächelndem Amor geführt, um schließlich auf Canalettos brillante Venedig-Darstellungen zu treffen.

Man kann aber auch gleich durch die leere, achtzig Meter lange Wartehalle zum Oktagon mit Bildern Rembrandts und seiner Schule wandern – ganz bewußt bildet dieser Raum das Zentrum der Sammlung. So heißt es im Katalog über das „Selbstbildnis mit Samtbarett“ von 1634, die Komposition sei so gewählt, „als wolle der Maler den gehobenen Ansprüchen einer von ihm selbst pathetisierten Umwelt genügen“. Die Beschreibung von Jan Kelch, der der Gemäldegalerie als Direktor vorsteht, könnte auch als Credo der ganzen Sammlung gelesen werden.

In München war die Errichtung der Alten Pinakothek ein königliches Unternehmen, die St. Petersburger Eremitage ist in ihrer Anlage kaiserlich – „Berlins Gemäldegalerie ist nach republikanisch- bürgerlichen Strukturen gebaut“, erklärte Wolf-Dieter Dube als Direktor der Staatlichen Museen auf der Pressekonferenz. Auf diesen enormen Anspruch soll auch die Architektur antworten: Mit der Ensemblewirkung rund um das Kulturforum könnte sich „der Individualismus des Jahrhunderts wieder auflösen“. Deshalb hat man in Berlin von gestalterischen Spielereien abgesehen, mit denen etwa Frank O. Gehry das Guggenheim Museum in Bilbao versehen hat. Die Gemäldegalerie ist ein schlichter Steinklotz, der seinen Reiz erst in der Pracht von achtzehn Sälen und vierundfünfzig Kabinetten entfaltet. Mit Sinn für Understatement bezeichnete Christoph Sattler als einer der beiden Architekten das Gebäude als „introvertiert“. Hier wird der Reichtum dezent behandelt, schließlich hat man aus der Kritik am protzigen Hamburger Bahnhof als Ort für zeitgenössische Kunst gelernt.

Daß das Publikum die Rückbesinnung auf edle Einfalt und stille Größe sucht, zeigt sich an den für das Wochenende erwartbaren Besucherströmen. Im Hause ist man einigermaßen besorgt, daß die empfindliche Alarmanlage unentwegt blitzen wird. Draußen ackern derweil noch Bagger auf dem Vorplatz des Museums, wo bis vor ein paar Wochen das Zelt der Berliner Kabarett Anstalt (BKA) stand und nun fünfzig Götterbäume gepflanzt wurden. Jetzt ist die Fläche praktisch besenrein und das BKA pleite. Nachdem der Senat erst die Übernahme der Räumungs- und Umsiedlungskosten plus Aufbauhilfe und Anschubfinanzierung für das Theater angeboten hatte, wurden plötzlich alle Zusagen wieder zurückgezogen. Es geht um 300.000 Mark, das sind gerade einmal 0,1 Prozent der Kosten für den Bau der Gemäldegalerie.

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