„Menschenrechte sind keine innere Angelegenheit“

■ Elisabeth Rehn, Menschenrechtsbeauftragte und Vertreterin des UN-Generalsekretärs, zum Kosovo

taz: Sie haben als Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen und als ehemalige finnische Verteidigungsministerin Kompetenzen, die in der augenblicklichen Situation sehr gefragt sind. Wie sehen Sie den Konflikt im Kosovo?

Elisabeth Rehn: Erst kürzlich stand ich vor einem Massengrab in der Nähe von Visegrad, wo Opfer von Srebrenica zum zweiten Mal begraben wurden. Die serbische Seite hatte die Leichen aus einem anderen Massengrab hierhinbringen lassen, um die Spuren des Massenmordes zu verwischen. Angesichts des Schicksals eines 14jährigen Jungen, dessen Leiche unter Hausmüll dort gefunden wurde, habe ich mich gefragt, was ich wohl meinen Enkeln über diesen unwürdigen Platz erzählen werde. Solche Verbrechen und die Tragödie in Bosnien dürfen sich nicht wiederholen.

Warum wurde dann nicht schon im Vorfeld etwas getan, um die Tragödie, die sich jetzt im Kosovo zuträgt, zu verhindern?

Es gab Anstrengungen. Ich kenne alle Akteure im Kosovo, ich war in den Polizeistationen und habe mit Folteropfern gesprochen. Dabei habe ich gespürt, daß etwas Furchtbares auf uns zukommt. Ich habe die Außenminister nach dem Abkommen von Dayton 1995 gewarnt, nicht wieder volle diplomatische Beziehungen zu Belgrad aufzunehmen, solange das Kosovo-Problem nicht gelöst ist. Angesichts der Bereitschaft von Slobodan Milošević, dem Vertrag von Dayton zuzustimmen, ist diese Warnung jedoch nicht beherzigt worden. Man wollte seine Kooperationsbereitschaft in Bosnien belohnen. Somit ist die Frage natürlich berechtigt. Eine wirksame präventive Diplomatie in bezug auf den Kosovo hätte solche Warnungen berücksichtigen müssen. Die Albaner waren so diszipliniert, die studentischen Demonstranten wandten sich gegen jede Form von Gewalt. Noch vor Jahresfrist wurde die Existenz einer militanten Gruppe, der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK), geleugnet. Ich bedauere, daß sich alles so schnell zu einem militärischen Konflikt entwickelt hat.

Der Führer der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, hat gerade von den Vereinten Nationen immer wieder gefordert, im Kosovo- Konflikt aktiver zu sein. Welche Rolle kann die UNO noch spielen, wenn die Nato das Heft in die Hand nimmt?

Die UNO hat eine sehr klare Resolution gegen die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo erlassen. Das Problem aber ist, daß Rußland Milošević unterstützt. Beide, Jelzin und Milošević, stützen sich auf das Argument der Nichteimischung in die inneren Angelegenheiten. Bei Menschenrechtsverletzungen ist dieses Argument allerdings obsolet.

Kosovo ist ein Teil Jugoslawiens und damit völkerrechtich anders zu behandeln als Bosien- Herzegowina. Andererseits verlangt die Situation nach einem schnellen Handeln. Die Nato diskutiert militärische Maßnahmen.

In der Tat können wir als internationale Gemeinschaft nicht mehr warten. Die Verletzung von Menschenrechten ist niemals eine interne Angelegenheit, das geht uns alle an. Wir sind an internationale Gesetze gebunden, aber vor allem an die Menschenrechte. Wir müssen eine Stärke entwickeln, was auch militärische Maßnahmen miteinschließt. Diese Maßnahmen müssen aber vom Weltsicherheitsrat gedeckt sein. Ich glaube nicht, daß die Nato unabhängig vom Weltsicherheitsrat agieren wird.

In den USA mehren sich die Stimmen, den Weltsicherheitsrat und damit die Position Rußlands zu vernachlässigen und einfach die Nato agieren zu lassen.

Niemand, auch nicht die USA, wird diese Verantwortung völlig allein übernehmen wollen. Jedes Land braucht sozusagen einen Regenschirm, um zu handeln. Rugova hat immer wieder den Einsatz der UNO vor Ort gefordert. Allein schon ihre Anwesenheit könnte den Konflikt entschärfen. Wir dürfen aber andererseits nicht mehr zu den Fehlern der Unprofor-Politik während des Bosnienkriegs zurückkehren. Wir müssen auch militärische Mittel in Betracht ziehen, ohne die politischen Mittel aus den Augen zu verlieren. Milošević muß jetzt zur gleichen Zeit an vielen Fronten um seine Macht kämpfen. So will Montenegro ökonomischen Fortschritt und keinen neuen Krieg. Die Regierung in Podgoprica bewegt sich immer mehr in Richtung Unabhängigkeit. Interview: Erich Rathfelder