Die Lügen sind abgebrannt

Gestern begann der Prozeß gegen Hintermänner des Brandanschlags auf ein Asylbewerberheim in Dolgenbrodt – und wurde vertagt. Verschleppungstaktik kritisiert  ■ Von Heike Spannagel

Frankfurt (Oder) (taz) – Der erste Tag im Dolgenbrodt-Prozeß war gestern zu Ende, ehe er richtig angefangen hatte. Staatsanwältin Petra Marx kam nicht einmal dazu, im Frankfurter Landgericht die Anklageschrift gegen die fünf mutmaßlichen Hintermänner des Brandanschlags von Dolgenbrodt zu verlesen. Die Verteidiger bemängelten die Akteneinsicht im Vorfeld des Prozesses – und beantragten Verschiebung. Am Dienstag wird der Prozeß weitergeführt.

Eigentlich müsse das ganze Dorf auf der Anklagebank sitzen. Diesen Satz hat man in den vergangenen Jahren oft gehört. Ganz Dolgenbrodt soll von der Brandstiftung gewußt haben. Im November 1992 war ein neues Asylbewerberheim abgebrannt – einen Tag, bevor 86 Afrikaner einziehen sollten. Die taz hatte Monate später aufgedeckt, daß die Dorfbewohner den Brandanschlag in Auftrag gegeben hatten.

Daß die 260 Dolgenbrodter kein Asylbewerberheim wollten, dazu stehen sie heute noch. Auch die Dorfbewohnerin, die gestern zum Zuschauen ins Frankfurter Landgericht kam. In Dolgenbrodt sei inzwischen wieder Ruhe eingekehrt, sagt sie. An diesem Prozeß bestehe kaum Interesse, und tatsächlich kann man die Dolgenbrodter im Gerichtssaal an einer Hand abzählen.

Auf der Anklagebank sitzen indessen, wie brave Bürger, die fünf mutmaßlichen Hintermänner des Brandanschlag: der Blumenhändler Thomas O., der für die Brandstifter mindestens 2.000 Mark gesammelt hat; der Elektriker Gerd G., der sich an der Prämie für die Brandstifter beteiligt haben soll; der Heizer Jürgen Sch. und sein Sohn Marko, die vier Molotowcocktails gebastelt haben sollen; und der junge Rechtsradikale Renato P., der die Brandsätze geworfen haben soll.

Gestanden haben bisher drei: der Blumenhändler, der Elektriker und auch der 25jährige Marko. Geduldig hören alle fünf zu, wie sich ihre Verteidiger heftige Wortgefechte mit der Staatsanwältin liefern. Ein Anwalt wirft ihr vor, die Akten nicht vorschriftsmäßig zur Verfügung gestellt zu haben. Ein anderer Verteidiger moniert, daß der Zeuge Silvio J. Rechtsbeistand bekomme – und ihm damit Akteneinsicht gewährleistet sei. Silvio J. war bereits im Januar 1996 als Brandstifter zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Jetzt ist abzusehen, daß er die Angeklagten belasten wird.

Staatsanwältin Marx moniert in einer Prozeßpause die Verschleppungstaktik. Die Angeklagten kämen um angemessene Strafen nicht herum, hätten sie doch die Brandstiftung zu verantworten. Petra Marx scheint sich ihrer Sache sicher. Ihrem Engagement ist es zu verdanken, daß der Fall Dolgenbrodt am Frankfurter Landgericht erneut aufgerollt wurde, nachdem der Bundesgerichtshof ein erstes Urteil von 1994 aufgehoben hatte. Silvio J. war damals mangels Beweisen freigesprochen worden.

Am Dienstag sollen nun erstmals die Angeklagten zu Wort kommen. Allen voran der Blumenhändler Thomas O., der ein umfassendes Geständnis ablegen will. Den Brandstiftern drohen Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren. Fünfeinhalb Jahre ist Dolgenbrodt in den Schlagzeilen – ein Ende ist nicht abzusehen, schließt Staatsanwältin Marx doch nicht aus, daß noch andere Dorfbewohner auf der Anklagebank landen.