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KommentarDie Schönredner

■ Der DGB will den Kanzlerwechsel und verdrängt dabei all seine Probleme

Kohl abwählen! Der Wechsel muß her! – So lautet die politische Botschaft des gestern zu Ende gegangenen DGB-Kongresses in Düsseldorf. Kein Redner ließ an diesem gemeinsamen Ziel Zweifel aufkommen. Doch das Bild der starken und entschiedenen „Einheitsgewerkschaft“ trügt. Rot-Grün stößt längst nicht bei allen Gewerkschaften auf Zustimmung. Ausstieg aus der Atomenergie, Ökosteuer und die kritische Haltung gegenüber der Bio- und Gentechnologie – damit können Bergarbeiter, Chemiegewerkschafter und so manche Metaller wenig anfangen. Sie liebäugeln mit einer Großen Koalition.

Noch können die in Düsseldorf gefundenen Konsensformeln die Differenzen überdecken. Doch mit der Ruhe ist es dann vorbei, sollten Beschäftigte durch eine rot-grüne Koalition ihre Jobs bedroht sehen. Dem Gewerkschaftslager stünde eine Zerreißprobe ins Haus. In Düsseldorf wurde darüber kein Wort verloren. Nur kein Streit, lautete die Devise. Läßt sich dies als wahltaktisches Kalkül noch nachvollziehen, irritiert die Verdrängungsleistung bezüglich der innerorganisatorischen Probleme.

Das Gezeter um den Berlin-Umzug symbolisiert, daß die Einzelgewerkschaften nach jahrelangen Diskussionen immer noch nicht wissen, welche Rolle der DGB als Dachverband künftig für die deutsche Gewerkschaftsbewegung spielen soll. In dieses Bild paßt die Hilflosigkeit, mit der die Einzelgewerkschaften auf den dramatischen Mitgliederrückgang reagieren. Im Kern geschieht nichts weiter als Krisen- und Kostenmanagement durch Verschlankung und Fusionen. Gewiß, ein Großteil des aktellen Mitgliederschwundes speist sich aus dem Niedergang der ostdeutschen Industrie. Beruhigen kann diese Erkenntnis allerdings nicht. Denn die tatsächliche Dramatik liegt im Dahinschmelzen der gewerkschaftlichen Großstrukturen wie dem Bergbau und dem Metall- und Stahlbereich. Gleichzeitig wächst die Zahl der Beschäftigten in kleineren, quasi gewerkschaftsfreien Betrieben kontinuierlich. Schließlich droht dem DGB die Vergreisung. Es fällt ihm immer schwerer, junge Leute zu organisieren.

Wenn auch niemand eine schnelle Antwort auf die genannten strukturellen Probleme weiß, so kann man von den Gewerkschaften dennoch erwarten, daß sie sich den Realitäten stellen, statt sie zu verdrängen. Walter Jakobs

Bericht Seite 6

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