Böser als die Nazis

■ Aufruhr wie bei Daniel Goldhagen: Heute wird das „Schwarzbuch des Kommunismus“ in Hamburg diskutiert

ie „spannend und aufregend Politik sein kann“, möchte der Piper-Verlag mit dem Ende Mai auf deutsch erschienenen Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror beweisen. Im Kampf gegen die allgemein verortete Politikverdrossenheit beehrt nun der Herausgeber Stéphane Courtois einige Podiumsdiskussionen in Deutschland, von denen die erste heute in Hamburg stattfindet. Nach Daniel Jonah Goldhagen wird damit ein weiterer Geschichtshandelsreisender seinen medialen Mehrwert unter Beweis stellen müssen. Der Feuilleton-Rumor, den das Schwarzbuch unmittelbar nach Veröffentlichung der französischen Originalausgabe auslöste, ist dem Echo auf Hitlers willige Vollstrecker nicht unähnlich.

Dabei, so zeigt sich, geht es seltener um eine fachlich kompetente Auseinandersetzung mit den vorgelegten Materialien zu Ausmaß und Funktion staatlich sanktionierter Grausamkeit. Vielmehr gilt es, die politische Bedeutung des Schwarzbuchs zu bestimmen und das Verhältnis von Kommunismus und Verbrechen im allgemeinen zu definieren. Kommunismus = Verbrechen, lautet die weniger überraschende konservative Botschaft. Als ethisch und politisch einzig tragbare Konsequenz müsse die Verabschiedung jedweder sozialistischer Theorie erfolgen. Verwunderung wurde angesichts der ausbleibenden sofortigen Selbstauflösungen sämtlicher kommunistischer Parteien Europas ausgedrückt.

In einer Reihe linker Printmedien hingegen stieß das Buch auf reflexhafte Ablehnung. Staatliche Verbrechen seien kein historisches Privileg sozialistischer Regimes. Der Zweck des Werks, das in hervorragender Weise reaktionäre Weltsicht bediene, sei es also, dem Kapitalismus die letztgültige Absolution zu erteilen.

Ohne auf die qualitativ unterschiedlichen und sicherlich nicht unstrittigen Beiträge des Buchs näher einzugehen, wurden die Geschütze des Kalten Krieges in Stellung gebracht. Dabei hatten sich von dieser Form der Geschichtsneutralisierung die Schwarzbuch-Autoren Nicolas Werth und Jean-Louis Margolin schon distanziert. Sie kritisierten die zeit- und ortlose Reduzierung der Geschichte so heterogener realsozialistischer Gebilde wie der UdSSR, Chinas, Kambodschas oder Kubas auf die Essenz „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Dieser Straftatbestand wird von Stéphane Courtois als Meßlatte für staatlichen Terror angelegt: „Die Fakten zeigen unwiderleglich, daß die kommunistischen Regimes rund hundert Millionen Menschen umgebracht haben, während es im Nationalsozialismus rund 25 Millionen waren.“ Wer kann da mithalten?

Die deutsche Ausgabe des Schwarzbuchs des Kommunismus ist um ein Kapitel erweitert worden, das „Politische Verbrechen in der DDR“ in den Mittelpunkt stellt. Der Pfarrer und derzeitige Mitarbeiter der sog. Gauck-Behörde Erhart Neubert qualifiziert darin die Geschichte der SBZ/DDR als ungebrochene Fortsetzung des Stalinismus. Zwar gibt es keine Todesopfer in Millionenhöhe, aber die „zweite deutsche Diktatur“ habe dennoch „nahezu alle politisch motivierten Massenverbrechen“ verübt. Für diese Aussage hätte kein Archiv geöffnet werden müssen.

Unter der Moderation von Ulrike Ackermann vom Hamburger Institut für Sozialforschung diskutiert Stéphane Courtois heute mit Jürg Altwegg, Joachim Gauck und Hans-Ulrich Wehler. Alle drei sind bisher nicht als Experten für die Geschichte der kommunistischen Regimes aufgetreten. Gauck, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, ist gelernter Pfarrer. Wehler, Historiker aus Bielefeld, hat bisher vor allem zur deutschen Geschichte veröffentlicht. Seine Kommunismuskompetenz hat er sich im „Historikerstreit“ erworben, als vehementer Kritiker an der These Ernst Noltes, daß der Nationalsozialismus eine intelligible Reaktion auf den Bolschewismus gewesen sei. Jürg Altwegg schreibt für die FAZ u. a. über politisch-kulturelle Debatten in Frankreich. So ist wohl eher wieder eine tagespolitische als eine historisch fundierte Debatte zu erwarten. Es bleibt zu hoffen, daß wenigstens die Rechenschieber zu Hause gelassen werden.

Katja Lüthge

Stéphane Courtois (Hg.): „Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen, Terror“, Piper, München 1998, 987 Seiten, 68 Mark;

Diskussion: heute, 19.15 Uhr, TiK, Glockengießerwall 1; Live-Übertragung im DeutschlandRadio