Ein deutsches Tor

■ Jürgen Klinsmann hat nach seinem Treffer gegen die USA für einmal „alles richtig gemacht“

Paris (taz) – Richtig große Tore bleiben vermutlich aus zwei Gründen im Gedächtnis; weil sie besonders wichtig oder besonders spektakulär sind. Selten trifft beides zu. Das Zweite läßt sich zum Beispiel nicht sagen über Rahns 3:2 (1954), Müllers 2:1 (1974) und schon gar nicht Brehmes 1:0 (1990). Dafür über Müllers und Netzers 4:1 gegen die Schweiz 1972 oder natürlich Emmerichs 2:1 gegen Spanien 1966. Unglaublich wichtig waren diese Treffer aus heutiger Sicht nicht. Sie sind aber geblieben. Vielleicht wird man das auch einmal über jenen Treffer sagen können, den der DFB-Kapitän Jürgen Klinsmann (33) am Montag in Paris geschossen hat. Es war ein deutsches Tor – und dennoch atemberaubend.

Der Existentialist Jens Jeremies hatte sich nach einem Einwurf des Gegners mit gnadenlosem Einsatz den Ball geholt, verloren und wiederbesorgt. Seine Anspielstation war der Stürmer Bierhoff, ein hauptamtlicher Vollstrecker, der präzise dahin flankte, wo nur noch Klinsmann und der US-Käpt'n Tom Dooley waren. Dooley sagt, er habe schon viele 1:1-Situationen gegen Klinsmann gespielt, aber diesmal „sah ich nicht gut aus“. Er sprang zu früh und konnte nur noch sehen, was passierte. „Er machte einen Schritt zurück und schloß den Job ab wie ein Profi.“ Es schien tatsächlich geradezu das Werk eines Auftragkillers zu sein, ein „klinisches Finish“, wie US- Trainer Steve Sampson fand. Klinsmann stoppte die „Traumflanke vom Olli“ mit der Brust, daß der Ball wie tot herunterfiel. Dann schob er ihn mit der Innenseite neben den Pfosten. 2:0, „der Sack“, sagt Klinsmann, „war zu“.

Ansonsten wiegelt er ab, sagt nur, daß das Tor „schon gut“ getan habe, und redet davon, daß er sich bestätigt fühle in seiner auf die WM konzentrierten Aufbauarbeit nach seiner Verletzung. Er kam in den Parc des Princes, suchte und fand „Schnelligkeit, Spritzigkeit, Aggressivität“. Das gefällt Klinsmann. So stellt er sich den deutschen Fußball vor.

Es ist natürlich immer vermessen, aus dem Gesichtsausdruck nach einem Treffer mehr als Freude schließen zu wollen. Klar ist aber, daß der ausgiebig kritisierte Stürmer weiß, daß er nun die nächsten beiden Spiele beruhigt angehen kann – insbesondere, da er zu allem Überfluß auch noch Möllers Treffer initiierte. Dennoch ist es klug, nicht vom Toreschießen, sondern weiter von den anderen Arbeitsbereichen zu reden, dem Rennen, Pressen, Vorbereiten. Kollege Bierhoff wird nicht jeden Tag so flanken, nächstes Mal ist Klinsmann dran. Klappt das, hat man auch gewonnen.

Falls alles doch ganz anders kommt, dann hat Jürgen Klinsmann immer noch das Tor von Paris, sein 45. Länderspieltor. Das wäre dann nicht viel? Mag sein. Aber Tom Dooley war am nächsten dran, und der sprach die goldenen Worte: „Klinsmann hat alles richtig gemacht.“ Wann hat es das schon mal gegeben? pu