Die neunte Kunst für 9,90

■ Heftchen, Helden, Hello Spaceboys: Während die Auflagen der großen Verlage abrutschen, boomte der Nischenmarkt beim achten Comic-Salon in Erlangen mit hübschen Quasi-Unikaten

Erlangen ist etwas fade. Doch alle zwei Jahre, vier Tage im Juni, wandelt sich die Universitätsstadt zum Mekka der Comic-Helden. Ausstellungen, Signierstunden, Podiumsdiskussionen, die Verlagsmesse und die Börse des seit 1984 stattfindenden „Comic Salon Erlangen“ decken alle relevanten Bereiche der Szene ab, von Jacques Tardi bis L.G.X. Lillian Mousli, von japanischen Animationsabenteuern bis zum feschen Gratismagazin der Stuttgarter Independent- Gruppe „Moga Mobo“. Die größte deutsche Comic-Veranstaltung war dann mit gut 30.000 Besuchern (bei 100.000 Einwohnern!) trotz Dauernieseln, WM und Stones- Konzert auch außerordentlich gut besucht. Noch wichtiger: Statt dickbäuchiger Sigurd-Sammler und verkniffener Kulturpessimisten vergangener Tage drängte sich diesmal ein erschreckend gut gelauntes Publikum weit unter dreißig durch die Heinrich-Lades- Halle und andere Spielorte des Comic-Salons.

Vor allem zahllose Kinder und Jugendliche standen in Schlangen vor den Kassenhäuschen verteilt, wühlten im Angebot der Händler und Verlage und warteten geduldig, bis die angereisten Künstler signierten oder Skizzen ausgaben. Ansonsten war 1998 Aufbruchstimmung allerorten. Gerade Klein- und Kleinstverlage haben sich offenbar hervorragend in ihren Nischen eingerichtet. Neben graphisch ebenso wie inhaltlich ausgefeilten Geschichten hat sich längst eine liebevolle und aufwendige Produktion durchgesetzt. „Zwei Prinzen“ des Münchner Zeichners und Autors Frank Schmolke besticht beispielsweise nicht nur durch Schwarzweißbilder und eine wunderhübsche, düstre Traumgeschichte. Daß Schmolke sein kleines, auf 500 Stück limitiertes Werk numeriert und mit unterschiedlichen Umschlägen in der eigenen Edition Spaceboy veröffentlicht hat, macht das Comic zum hübschen Quasi-Unikat. Die neunte Kunst für 9,90.

Lange, ganz lange Gesichter gab es aber in Erlangen auch, und die gehörten in der Regel den Vertretern der etablierten deutschen Großverlage. Denn Carlsen, Ehapa/Feest und einige andere rutschen stetig in die Krise. Aufwendige Comics frankobelgischer Künstler wollen sich nicht mehr so gut verkaufen, die japanischen Comics, von denen sich der Markt vor wenigen Jahren noch den Aufschwung versprach, bleiben als überteuerte Alben im Regal liegen. Weil es an frischem Material und lukrativen Nachdrucklizenzen fehlt, klammert man sich an bewährte Reihen und Neuauflagen. Ihr Herbst/Winter-Programm haben Carlsen wie Ehapa angesichts sinkender Verkaufszahlen rigoros zusammengekürzt.

Schuld an dem Debakel sind angeblich die kleinen, jungen Heftchenproduzenten, deren amerikanische Superheldenabenteuer in kurzer Zeit eine treue, jugendliche Käuferschaft an den Kiosken gefunden haben. Bei den Diskussionsrunden in Erlangen zeigten sich die Vertreter alteingesessener Verlage trotzig bis fatalistisch: Da wurde ein diffuser Qualitätsvorsprung der Comic-Alben heraufbeschworen, bevor „Komplott gegen Berti“ (Ehapa) beziehungsweise „Unser Schumi“ (Carlsen) als Beweise für sicheres Erfolgsgespür herhalten; man sieht die „epische Comic-Erzählung“ aussterben, zählt aber nur zu gern eigene Heftchenprojekte auf.

In jedem Fall haben die etablierten Verlage mit teuren Alben in mäßiger bis schlechter Bearbeitung und Produktion gerade Taschengeld- und andere Minimaleinkommler vergrault. Die neuen Heftchenproduzenten haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt: Mit sorgfältig bearbeiteten Heften, fairen Preisen und einer fast liebevollen Betreuung der Leserschaft hat besonders der schwäbische Dino Verlag das ausgepumpte Superheldengenre und das günstige Format wiederentdeckt. Inzwischen reicht das Angebot von den „Simpsons“ über „JLA“ bis „Wonder Woman“, demnächst wird es noch um eine „Mad“-Neuauflage ausgebaut. Es ist für junge Teenager wieder cool, Comic- Hefte zu lesen und zu sammeln. Und davon profitieren möglicherweise alle. Einerseits können Dino, Marvel und die anderen Heftmacher vielleicht en passant die Lücke zwischen dem Kinderprogramm à la „Micky Maus“ und der graphischen Albenliteratur schließen. Andererseits bildet sich schon jetzt eine deutsche Heftkultur. In Erlangen gehörte der Stand der Ideenschmiede Paul & Paul (IPP) zu den begehrtesten Plätzen – Ralf und Guido Paul konnten mit „Helden“ nicht nur das erste deutsche Actionheft im US-Format veröffentlichen, sondern haben rechtzeitig zum Comic-Salon auch die neue Serie „Die Vergessenen“ auf den Weg gebracht. Für die Teenager ist Ralf Paul mindestens so cool wie „Spawn“-Erfinder Todd McFarlane, der Überflieger der US-Comic-Szene. Spätestens wenn ein etwa Zehnjähriger den Zeichner fragt, welche Papiersorte er denn für die Arbeit benutzte, wird auch klar warum. Thomas Klein