Süd-Koreas Treck nach Norden

Ein Konzernchef schenkt Nord-Korea 500 Rinder und begleitet sie durch die undurchlässige Grenze. Die Regierung in Seoul hofft auf eine weitere Öffnung  ■ Aus Seoul Sven Hansen

Einer der reichsten Männer Süd-Koreas ist gestern mit Familienangehörigen und 500 Rindern über die schwer bewachte Grenze in das von einer Hungersnot geplagte Nord-Korea gezogen. Der Gründer und Ehrenvorsitzende des Hyundai-Konzerns, der 83järhige Chung Ju Yung, passierte die Grenze in den Norden zu Fuß, um die 500 Kühe und Bullen dem verfeindeten Bruderstaat zu spenden. Weitere 500 Rinder und 40.000 Tonnen Mais sollen später folgen.

Die Tiere wurden auf 50 mit Flaggen des Roten Kreuzes gekennzeichneten Lastwagen am Grenzort Panmunjom in der demilitarisierten Zone übergeben. Dieser nur mit Sondergenehmigungen zugängliche Ort des Waffenstillstands von 1953 ist der einzige Grenzübergang zwischen Nord- und Süd-Korea und war bisher quasi unpassierbar. Chung und seine ihn begleitenden Brüder und Söhne, die alle hohe Posten in Süd- Koreas größtem Konzern bekleiden, durften als bisher erste Zivilisten den Grenzort mit den Zustimmungen beider Regierungen und ohne offizielle Begleitung passieren. Als Gegenleistung für die Rinder und bereits per Schiff gelieferte 10.000 Tonnen Mais darf Chung seinen in Nord-Korea gelegenen Heimatort Tongchong besuchen, den er 1933 verlassen hatte. Die für den Transport der Rinder benötigten Lastwagen verkaufte er Nord- Korea auf Kredit. Der Tycoon will während seines achttägigen Aufenthaltes im Norden Gespräche über Joint-ventures und ein von ihm geplantes Tourismusprojekt führen. Die Ferienanlage samt Golfplatz am Berg Kumkang war bereits bei Chungs erstem Nord- Korea-Besuch im Jahre 1989 vereinbart worden, konnte aber wegen der Spannungen zwischen Seoul und Pjöngjang nicht verwirklicht werden. Ob Chung während seines jetzigen Aufenthalts auch mit dem nordkoreanischen Führer Kim Jong Il zusammentreffen wird, ist unklar.

„Ich bin aufgeregt, meinen Geburtsort wiederzusehen“, sagte Chung vor dem Grenzübertritt. Als 18jähriger habe er sich die Reise in den Süden damit finanziert, daß er ein Rind seines Vaters heimlich verkauft und sich dann abgesetzt habe, erklärte er. Jetzt wolle er in seinem Heimatort die Schuld gegenüber seinem Vater begleichen, der allerdings schon vor Jahren verstarb. Er hoffe, sein Besuch werde den Grundstein für Versöhnung und Frieden auf der Koreanischen Halbinsel legen, so Chung in einer vorbereiteten Erklärung.

Ähnliche Hoffnungen macht sich offenbar auch die neue Regierung in Seoul. Sie hatte erst im April die strengen Reisebeschränkungen für Zivilisten in den Norden gelockert und strebt insgesamt einen entspannteren Kurs gegenüber Pjöngjang an. Ein Sprecher von Präsident Kim Dae Jung sagte, die Rinderlieferung sei eine „kleine Öffnung in Richtung Wiedervereinigung“. Seoul hoffe, daß sich bald auch Millionen getrennter Familien über Panmunjom besuchen können. Dafür bedürfe es allerdings noch eines substantiellen Wandels in der Haltung des Nordens, doch deute die Erlaubnis für Chungs Reise über Panmunjom eine mögliche Änderung an.

Chung wurde auf nordkoreanische Seite von Vertretern der Regierung empfangen. Die nordkoreanische amtliche Nachrichtenagentur KCNA berichtete nur kurz über den ungewöhnlichen Besuch. Sie bezeichnete die von Chungs Delegation überbrachten Rinder als einen „symbolischen Ausdruck patriotischer Gefühle“.

Hwang Jang Yop, der bisher hochrangigste nordkoreanische Überläufer, der sich vor zwei Jahren in Peking abgesetzt hatte, sagte auf einer Pressekonferenz am Vortag des Rindertransports in Seoul, der Norden würde jede Hilfe begrüßen, solange sie nicht mit Bedingungen verknüpft sei. Dies sei auch der Grund, warum Pjöngjang die 500 Rinder von Chung annehme. Hwang schätzt, daß in den vergangenen drei Jahren 2,5 Millionen Nord-Koreaner der Hungersnot zum Opfer gefallen seien, die durch Mißwirtschaft, Überschwemmungen und Dürre verursacht wurde. Der Zusammenbruch Nord-Koreas begann mit dem Ausbleiben der Hilfe der ehemaligen Ostblockstaaten.