piwik no script img

Zeitung lesen während Schiffsentladung

■ Die Zeitungsabteilung der Staatsbibliothek ist in den Westhafen umgezogen. Auf rund 20 Kilometer Regallänge lagern 160.000 Zeitungsbände für Leser und Forscher. Übergangsquartier bis zur Renovierung

Von Kolja Mensing

Die Staatsbibliothek zu Berlin – dreigeteilt: In diesem Monat wurde die Auslagerung der großen Zeitungsabteilung abgeschlossen. Weil weder in dem „Stabi“-Gebäude am Potsdamer Platz noch in den Räumen an der Straße Unter den Linden Flächen für die Papierstapel zu finden waren, mietete die Stiftung Preußischer Kulturbesitz einen Getreidespeicher im Moabiter Westhafen an.

Doch Abteilungsleiter Joachim Zeller will erst gar keine Klagen über den Extraweg oder die vergleichsweise abseitige Lage aufkommen lassen: „Der Westhafen gehört schließlich noch zum Tiergarten“, erklärt er und schlägt ein Abenteuerspiel vor: „Ich sag' Ihnen jetzt auch gar nicht, wo das Gebäude genau steht. Versuchen Sie doch einfach mal, uns zu finden.“

Das ist tatsächlich gar nicht so schwer. Zu dem fast hundert Jahre alten Getreidespeicher, in dem jetzt die zwölf Stabi-Mitarbeiter zusammen mit gewichtigen Folianten, Mikrofilmen und ein paar Computern untergebracht sind, läuft man vom U-Bahnhof Westhafen nur ein paar Minuten. Parkplätze für Autos und Fahrräder gibt es auch. Und bevor man in die akademisch abgedämpfte Stille des Lesesaals eintaucht, kann man beim Entladen eines Schiffs zugucken. Das ist dann wirklich ein bißchen abenteuerlich.

500 Gazetten bezieht die Staatsbibliothek zu Berlin fortlaufend: ein Paradies für Zeitungs-Junkies. Es gibt die britische Times zu lesen, die Straits Times aus Singapur oder die Times of India. Dazu Zeitungen mit merkwürdigen Buchstaben aus Rußland oder Griechenland. Und sechzig deutschsprachige Blätter hat die Zeitungsabteilung auch abonniert und abgelegt – ein dicker zeitgeschichtlicher Fundus.

Nicht nur für die Magisterarbeit: „Wir sind eine Forschungsbibliothek“, so Joachim Zeller, „aber natürlich schreiten wir nicht ein, wenn Benutzer sich einfach nur ein paar Seiten einer alten Zeitung eines bestimmten Datums kopieren – ist ja ein beliebtes Geburtstagsgeschenk.“

Einer der ältesten Leitartikel in der Stabi-Abteilung stammt aus dem Jahr 1742, als die Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen ihrem König Friedrich II. eine Jubelhymne auf die erste Seite dichteten. Von da an: viel Papier. Vom 18. Jahrhundert bis heute sind über 160.000 Zeitungsbände zusammengekommen. Rund 20 schwere Kilometer, die in den fünf Magazinen des Westhafenspeichers gut aufgehoben sind: Das für tonnenweise Getreide konstruierte Gebäude ist wie geschaffen für die Papierlasten, auch wenn das eigentlich nur eine Übergangslösung ist. Denn sollten, wie erhofft, die nötigen Gelder für Sanierung und Umbau des maroden Bibliotheksbaus Unter den Linden freigestellt werden, wird die Abteilung irgendwann im nächsten Jahrtausend dorthin zurückwandern.

Vor ein paar Jahrzehnten waren Mikrofilme – gut 50.000 Stück stehen im Getreidespeicher – der erste Schritt in Richtung auf eine kompaktere Bibliothek. Heutzutage guckt man natürlich vor allem auf die virtuellen Speicher: CD- ROMs, Internet-Archive. Die reproduzieren zwar oft nur Teile der Zeitungsausgaben – Bilder und Werbung fehlen in den meisten Fällen –, erleichtern aber das Aufspüren einzelner Texte über Stichwörter. „Wir können hier kein Cyber-Café einrichten“, bedauert Abteilungsleiter Zeller, „halten aber immerhin schon ein knappes Dutzend Zeitungen auf CD-ROM bereit.“

Und die Staatsbibliothek hängt natürlich auch am Netz: Wer von zu Hause aus schon mal nachgucken möchte, ob eine bestimmte Zeitung im Westhafenspeicher oder auch in einer anderen deutschen Bibliothek vorhanden ist, kann das auf den Web-Seiten und der dazugehörigen Zeitschriftendatenbank (www.bdi-berlin.de).

Auch die vielen schriftlichen Anfragen, die von außerhalb an die Zeitungsabteilung gehen, ließen sich mit High-Tech-Hilfe eleganter und vermutlich billiger bearbeiten. Zukunftsmusik: „Wir planen, eine Reproduktionswerkstatt einzurichten, in der die Zeitungsseiten mit einer Digitalkamera gescannt werden können“, erklärt Joachim Zeller, „um sie nicht wie bisher als Mikrofilm, sondern gleich per E-Mail zu verschicken.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen