Zwischen den Rillen
: Fleischfressende Lieder

■ Bizarre, bizarre: Neue Chansons von Brigitte Fontaine, Elisa Point und Alain Bashung

Das Lied war 1971 eine beißende Kifferparodie. Ein Mann und eine Frau hocken an ihren Bongos und singen mit lahmer Glückseligkeit ein Bossaliedchen mit „Lalala“ als einzigem Text. Plötzlich fragt die Frau: „Hast du auch so ein merkwürdiges Geräusch gehört?“ – „Klar, das war das Gas. Im Stock unter uns hat's eine Verpuffung gegeben.“ – „Ah ja. Lalala...“ Man erfährt, daß das 15stöckige Wohnhaus in Flammen steht und im Begriff ist einzustürzen. Mit Engelszungen erklärt Areski, der Mann, seiner Freundin Brigitte die physikalischen Details. Die ist zwar latent beunruhigt, läßt sich aber immer wieder einlullen: „Lalala“.

Ein gutes Vierteljahrhundert später hat Brigitte Fontaine, die große Exzentrische des französischen Chansons, ihren alten Erfolg runderneuern lassen. „C'est normal“ ist nun der Clubhit ihrer neuen CD und wird die nachgewachsenen Generationen animieren, auch Fontaines Frühwerk kennenlernen zu wollen. Die alte Kifferlakonie allerdings läßt sich 1998 nicht mehr wiederholen: Wer mit heftig pluckernden Soundmaschinen arbeitet, dem nimmt man Dösigkeit nicht gut ab.

Sowieso befindet sich Brigitte Fontaine längst auf einem anderen Stern. Vor zwei Jahren erlebte sie mit dem Album „Genre humain“ einen späten Durchbruch; nach Jahrzehnten im Underground konnte sie den Status des ewigen Geheimtips hinter sich lassen. Das neue Album, „Les palaces“, ist ein einziger Jubelschrei der Lebensfreude. „Ah que la vie est belle“ heißt programmatisch der Opener. Im Titelsong imaginiert la Fontaine bereits ein flottes Jetsetleben im Palast, und für „Délices et orgues“ läßt sie – begleitet von katatonischen Jungle- Drums – heftig in die Tasten einer veritablen Kirchenorgel greifen, um das Hohelied der körperlichen Vereinigung zu singen. Fast unnötig zu sagen, daß die meisten Titel auf „Les palaces“ Hymnen sind. Die Musik ist vorwiegend computergeneriert, aber durch Streichorchester oder Klavierbegleitung luxuriös angereichert. Anders als die neue französische Schule um Dominique A. pflegt Brigitte Fontaine eine musikalische Üppigkeit, die auch weit besser mit dem Baudelaireschen Einschlag ihrer Lyrik konveniert. Verse wie „Das Horrormuseum ist ein verfluchter Palast, in dem sich die fleischfressende Pflanze und die Muttersau paaren“ klingen auf französisch herrlich kultiviert und verlangen nach gediegener Untermalung.

Brigitte Fontaines frühe Platten werden übrigens von Saravah vertrieben. Das renommierte Minilabel gehört Pierre Barouh, der die Tantiemen für seine Filmmusik zu „Un homme et une femme“ (“Schwabba dabba-dab“) in dieses Projekt investiert hat. Getreu dem Labelcredo „Es gibt Jahre, in denen hat man Lust, nichts zu tun“ erscheinen neue Saravah-Platten mit schöner Unregelmäßigkeit. Kürzlich war es wieder soweit: Saravah veröffentlichte Elisa Points neue CD „Les filles sont des garcons bizarres“ – Mädchen sind komische Jungs. Points Debüt erschien in den frühen Achtzigern; danach war ewig nichts von ihr zu hören. Ihre Stimme klingt noch immer wie die Quintessenz aus allen französischen Piepssängerinnen von Jane Birkin bis Lio, nur gelassener. Ungefähr so wie Charlotte Gainsbourg heute singen könnte, hätte sie nach ihrer hochgradig verquietschten 86er CD „Charlotte forever“ noch Zutrauen zu ihrer Singstimme.

Elisa Point fühlt sich südamerikanischer Siestamusik verpflichtet. Hier ist alles locker und moody – Musik für knallheiße Sommer. Entsprechend häufig döst sie in ihren Texten an Swimmingpools herum, ermattet von vergeblicher Sinnsuche: Bonjour, Françoise Sagan. Doch Vorsicht, Point setzt einiges daran, nicht als „leeres Schmuckkästchen“ durchzugehen. Deshalb reichert sie ihre Texte gerne mit bösen kleinen Sprengsätzen an, die in der soften Stimmung fast untergehen. „Petites mouches“ etwa widmet sie ihren Eltern und schmückt das pseudonostalgische Lied mit dem garstigen Einschub: „Man hängt sich an Bäumen auf und kommt ins Paradies. Ein Hund bellt und will auch sterben.“ Komisches Mädchen.

Auch von Alain Bashung gibt es erstaunlich Erfreuliches zu melden. Der französische Rocker mausert sich seit einiger Zeit zum düsteren, bereits ein wenig ermatteten Entertainer mit Faible für extravagante Arrangements. Höhepunkt seines neuen Albums „Fantaisie militaire“ ist ein Chanson von Rodolphe Burger, der auch für Françoise Hardys letztes Album einige Chansons beisteuerte. „Samuel Hall“ ist der erste geglückte Versuch, an Serge Gainsbourgs psychedelisches Soundexperiment „Melodie Nelson“ aus den frühen Siebzigern anzuknüpfen.

Erst im Vergleich erschließt sich die Parodie: „Melodie Nelson“ war die Geschichte eines in die Jahre gekommenen Playboys (Gainsbourg), der mit seinem Rolls eine radfahrende 14jährige (Birkin) über den Haufen fährt und sich selbstredend in sie verliebt. Alain Bashung zeigt lieber die Kehrseite des besten Mannesalters. Sein Samuel Hall ist ein gnattriger Bohémien, der mit anderthalb Pfund Gehacktem nach Hause kommt und von seiner Freundin angemault wird, was er denn da wieder für einen Quatsch gekauft habe. „Schluck's runter“, gärt es in ihm. „Ich heiße Samuel Hall. Ich hasse euch alle!“ Reinhard Krause

Brigitte Fontaine: „Les Palaces“ (Virgin)

Elisa Point: „Les filles sont des garçons bizarres“ (Saravah)

Alain Bashung: „Fantaisie militaire“ (Barclay)