Orginal Bach-Partituren im Tausch gegen einen Beitritt zu Nato und EU

■ CSU-Politiker fordert von Polen die Rückgabe deutscher Kulturgüter. Polnische Kunstschätze will Bonn nicht zurückgeben

Warschau (taz) – „Gebt Bach zurück!“ titelte die polnische Tageszeitung Zycie. Der scharfe Ton deutscher Politiker, die die Rückgabe kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter von Polen fordern, ging Anfang in dieser Woche in fast alle Berichte über den Vorstoß des Bonner CSU-Abgeordneten Johannes Singhammer ein. Da Deutschland der größte Fürsprecher Polens beim Nato- und EU- Beitritt sei, zitierte die polnische Nachrichtenagentur PAP den Abgeordneten, sei Polen gewissermaßen verpflichtet zur „unverzüglichen Rückgabe der restlichen deutschen Kulturgüter“.

In Polen löste weniger die Forderung der Deutschen denn der Ton Verärgerung aus. Seit drei Jahren bewegt sich zwischen Bonn und Warschau nichts mehr, wenn das Thema „Kulturgüter“ auf die Tagesordnung kommt. „Die Deutschen werfen uns vor, wir würden die Verhandlungen verzögern, weil wir nicht turnusgemäß eingeladen haben“, erklärt eine Sprecherin des Kultusministeriums in Warschau. „Dabei blockieren die Deutschen die Verhandlungen. Keinen Millimeter sind sie unseren Forderungen nach Rückgabe der polnischen Kulturgüter, die sich in deutschen Museen befinden, entgegengekommen.“

Das wichtigste Streitobjekt von deutscher Seite aus sind die Sammlungen der Preußischen Staatsbibliothek, die sich heute zu großen Teilen in der Jagiellonen-Bibliothek in Krakau befinden. Sie enthalten eine wertvolle Sammlung von 20.000 handschriftlichen Partituren, darunter die Originale der Neunten Symphonie von Beethoven, außerdem über 200.000 Handschriften von Goethe, Schiller, Herder oder Humboldt. 1941 lagerten die Berliner Bibliothekare über drei Millionen Manuskripte und Bücher aus Angst vor alliierten Angriffen nach Niederschlesien, Süddeutschland und Westpreußen aus. Nach Kriegsende befanden sich 505 Kisten mit den Sammlungen der Preußischen Staatsbibliothek auf dem Gebiet Polens. Rechtich gesehen handelt es sich nicht um „Beutekunst“, sondern um „verlagerte Kulturgüter“. Mehr durch Zufall entdeckten polnische Konservatoren die Sammlung im Kloster von Krzeszow und retteten sie vor dem Abtransport durch die Russen.

Polen hat einen weit größeren Kulturverlust als die Deutschen erlitten, da die Nationalsozialisten ganz bewußt die Kunstschätze und Bibliotheken der „slawischen Untermenschen“ zerstörten. Die polnische Kunsthistorikerin Monika Kuhnke verweist auf eine meterhoche Karteikartensammlung im Ministerium: „Polnische Kulturverluste“, meint sie trocken. „Wir fahnden seit Jahrzehnten weltweit nach unseren von den Nazis gestohlenen Gemälden, Holzschnitten und Büchersammlungen. In Deutschland haben wir über 120 Orte ausfindig gemacht, wo sich das Raubgut befindet. Unsere Verlustliste umfaßt 60.000 Positionen, darunter Teile der Kronjuwelen, ganze Bibliotheken und Archive, Plastiken von Veit Stoß und Handschriften von unschätzbarem Wert.“ Auf Bildern ist das Barbarenwerk des „Kulturvolkes“ festgehalten: verkohlte Bibliotheksgewölbe aus dem 19. Jahrhundert und meterhohe Aschenberge der ehemaligen Sammlungen.

„Polen hat uns eine Liste mit 114 Kunstwerken übergeben, die sich in deutschen Museen befinden sollen. Wir haben diese Liste geprüft und Polen eine Antwort zukommen lassen“, erklärt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes auf Nachfrage der taz. „Immerhin haben wir 1992 den Posener Goldschatz zurückgegeben. Das sollte ein Zeichen des guten Willens sein. Auch über das Evangeliar aus Plock läßt sich reden.“ Den „guten Willen“ sehen die polnischen Medien allerdings allein auf ihrer Seite: „Warum sollen wir bei unseren Kulturverlusten eigentlich die Preußische Staatsbibliothek zurückgeben? Wer hat das Recht, hier Forderungen zu stellen?“ Gabriele Lesser