Eine Liebe, die das Gesetz nicht kennt

Lars Kittlaus kommt aus Sachsen, Pavel Zeman aus Sokolov. Sie haben in Cheb, Tschechien, geheiratet. Die Bundesrepublik erkennt ihre Ehe nicht an. Im Gegenteil. Sie verweigert Pavel die Aufenthaltserlaubnis – und gefährdet damit ihre Beziehung  ■ Von Jens Rübsam (Text) und Bernd Hartung (Fotos)

Wieder hatte Lars ganz früh das Haus verlassen. Hatte sich, ohne gefrühstückt zu haben, in seinen Golf-Diesel gesetzt. War ein gutes Stück Autobahn gefahren, ein gutes Stück Landstraße, 65 Kilometer insgesamt. Nach einer Dreiviertelstunde war er in Cannewitz angekommen, hier hat er sein Büro. Lars Kittlaus, 27, ist Gesellschafter einer mittelständischen Dachdeckerfirma, zuständig für Organisation, Auftragsbeschaffung und das Inkasso.

Wie immer war Pavel an diesem Morgen liegen geblieben. Wie immer war es egal, wann er aufstand. Er erwartete keine großen Vorkommnisse, nicht mal kleine. Der Tag würde vergehen, wie die Tage eben vergehen. Irgendwann würde er aufstehen, den Fernseher einschalten, zusehen, wie Menschen Autos gewinnen und über Dinge sprechen, die er nie verstehen wird, beispielsweise: „Ich habe keinen Bock auf Arbeit.“

Zwei Brötchen wird er sich aufbacken, hauchdünnen Käse darauflegen, einen Kaffee aufbrühen, im Wohnzimmer frühstücken, dabei fernsehen und warten, daß es Mittag wird. Dann wird er nach Halle fahren, zwei Stunden im Einkaufscenter verbringen oder auch etwas länger, für seinen Leguan Feldsalat kaufen. Er wird schauen, ob er den niedlichen Jungen, den er kürzlich am Obststand gesehen hat, wiedersieht. Wenn ja, wird er ein wenig flirten. Er wird sich ein paar Kleinigkeiten fürs Mittagessen mitnehmen, Tomaten, Streichkäse und Basilikum. Wird noch einen Kaffee trinken, vielleicht ein Stück Kirschtorte essen, eine Weile den Mädchen beim Servieren zuschauen. Wieder zurück nach Hause, kochen, es wird drei sein, aber auch das ist egal.

Beim Mittagessen wird er fernsehen, Talkshows, die letzte schließlich wird die von Hans Meiser sein. Danach wird er gucken, was im Haushalt zu machen ist. Waschen, bügeln, aufräumen? Man kann nicht jeden Tag waschen, bügeln, aufräumen. Pavel wird diesen Tag schon rumbringen. Wie so viele Tage zuvor.

Pavel Zeman ist 26, Tscheche. Seit zwei Jahren lebt er mit Lars Kittlaus zusammen. Sechs Monate im Jahr darf er sich offiziell in Deutschland aufhalten, nicht länger, aber wer kontrolliert das schon so genau? Eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland bekommt er nicht, das hat er schriftlich von der Deutschen Botschaft in Prag und der Ausländerbehörde in Dresden. „Der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung kann nicht zugestimmt werden, da gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften nicht vom Schutzgebot des Artikels 6 Grundgesetz erfaßt sind“, heißt es in der Begründung. Im Grundgesetz steht geschrieben: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“ Homosexuelle Lebensgemeinschaften nicht.

Im Freistaat Sachsen weiß man penibel die Gesetze einzuhalten, obwohl das Bundesverwaltungsgericht 1996 in einem Urteil festgehalten hat: Bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis komme eine „Ermessensentscheidung in Betracht“. Die Dresdner Ausländerbehörde ermaß streng, die Beziehung zwischen Pavel Zeman und Lars Kittlaus werde bisher nur „durch kurzfristige Aufenthalte sowohl in der Tschechischen Republik als auch in der Bundesrepublik geführt. Es sind keine Gründe ersichtlich, die gebieten würden, den Aufenthalt in der Bundesrepublik als wesentliches Element der Partnerschaft zu werten.“ Liebe zählt nicht. Wären sie Mann und Frau, wäre das freilich anders.

„Meinst du, einen Beamten interessiert das Leben, interessiert eine Beziehung?“ fragt Pavel. Dem Herrn Schubert von der Ausländerbehörde hat er gesagt: „Versuchen Sie, uns als Menschen zu sehen und nicht mich als einen Tschechen, der nach Deutschland will.“ Dennoch setzte Günther Schubert seine Unterschrift unter die Ablehnung. Pavel kennt die Vorurteile manches deutschen Beamten. „Man denkt doch in Deutschland, wenn ein Tscheche zu einem Deutschen geht, dann nur wegen des Geldes oder daß er sich für Geld ficken läßt.“

Ende Mai haben Lars Kittlaus und Pavel Zeman aufgegeben. Sie sind von Dresden nach Großkugel in Sachsen- Anhalt gezogen, in ein „für Homosexuelle besseres Land“, wie sie sagen. Nun wohnen sie in einem Kaff zwischen Halle und Leipzig, an der Grenze zu Sachsen. Einem mit Neubaugebiet und Autobahnanschluß. Warum nur zieht man hierher?

Selbst an schönen Junitagen sieht man, auf Lars' und Pavels umgittertem Balkon in einem der hellblauen Neubaublöcke stehend, nur andere hellblaue Neubaublöcke mit anderen umgitterten Balkonen, auf denen ältere Menschen sitzen, die wiederum auf hellblaue Neubaublöcke mit umgitterten Balkonen schauen.

Es ist still in Großkugel, sehr still. Es sollte das Bächlein da unten Erwähnung finden, angelegt inmitten einer gestalteten Grünfläche zwischen rustikalen Bänken und jungen Bäumen, versehen mit einer kleinen Holzbrücke. Das Bächlein plätschert dahin, für die Gegend doch recht laut.

Selten nur stehen Lars Kittlaus und Pavel Zeman auf ihrem Balkon im vierten Stock. Am ersten Tag waren die Blöcke vielleicht noch sehenswert, am zweiten schon nicht mehr. Meist liegen die beiden drinnen im Wohnzimmer auf der schweren schwarzen Couch. Lars immer auf der linken Couchhälfte, vor ihm das Fernsehgerät, daneben ein Tisch, darauf Sprudelgläser und ein Aschenbecher, eine volle Schachtel Zigaretten und drei Fernbedienungen.

Ans Kopfende der linken Couchhälfte schließt sich, querstehend, die rechte Couchhälfte an, hier liegt Pavel. Das Leben in Großkugel hat seine Liegeordnung bekommen und seine Regeln. Es wird wenig geredet, Lars ist kein großer Redner, eher schüchtern, vorsichtig. Manchmal sagt er: „Ich fühle mich alt.“

Pavel hingegen redet gern. Aber worüber spricht man spätabends, wenn der eine müde von der Arbeit nach Hause kommt, am liebsten liegen möchte, und der andere den Tag über nichts weiter erlebt hat? Da bekommt auch das Abendessen einen müden Beigeschmack, und der Sex nach dem Zubettgehen gerät lau, eine Pflicht zum Liebesbeweis.

Alltag nennen das Pavel und Lars. „Die Menschen gewöhnen sich halt aneinander.“ Es sei eben, sagen sie, nicht mehr wie früher. So wie im Juli vor zwei Jahren, als sie sich kennengelernt haben, in einer Schwulendiscothek im tschechischen Cheb. Lars gefielen die blauen Augen von Pavel. Pavel gefiel Lars, „ganz einfach so“. Es wurde mehr als ein One-Night-Stand.

Pavel, seinerzeit legal als Grenzgänger in einem bayerischen Grenzdorf als Pferdepfleger und Feldarbeiter beschäftigt, zuletzt für zwei fuffzig in der Stunde, zog zu Lars nach Dresden. Der war, wie zur Führung einer Lebensgemeinschaft vorgeschrieben, in eine Wohnung mit 60 Quadratmeter Wohnfläche umgezogen.

Vorher hatten sie geheiratet, am 19. Oktober 1996 im westtschechischen Cheb. Die Mütter hatten ihren Segen gegeben. Lars' Mutter fand „nie etwas Negatives dabei“, daß ihr Sohn schwul ist; ihr Bruder ist auch schwul. Pavels Mutter sagt: „Ich muß mich nicht schämen für meinen Sohn.“

Es ist Abend geworden in Großkugel. Der Tag war tatsächlich wie alle anderen Tage, ohne große und kleine Vorkommnisse. Jetzt fährt der Hochzeitsfilm ins Gehäuse des Videorecorders.

Man sieht einen weißen Lincoln, der sich durch die engen Straßen der Kleinstadt Cheb schiebt, eine Regenbogenfahne vorn auf der Kühlerhaube. Ein Chauffeur öffnet, angekommen vor dem Rathaus, die hintere rechte Tür, das Hochzeitspaar steigt aus. Lars Kittlaus, fein angezogen, graues Jackett, hellblaues Hemd, Fliege; Pavel Zeman, roter Anzug, Krawatte. Es folgt eine Schar Verwandter. Verwundert fragen Passanten: „Wo ist die Braut?“ Man betritt das Standesamt. Eine Notarin sagt zu den Anwesenden: „Ich will Ihnen zwei Bräutigame vorstellen.“

Bert Perlik, der Vertreter des tschechischen Schwulenverbandes, sagt: „Das ist das erste Mal in der Geschichte von Cheb, daß zwei Schwule heiraten.“ Legal freilich ist das auch in Tschechien nicht, vielmehr eine symbolische Aktion, ähnlich der „Aktion Standesamt“ vor Jahren in Deutschland. Der Vertreter des Schwulenverbandes liest aus der Bibel, später wird sich der örtliche Pfarrer mißbilligend darüber äußern. Lars und Pavel versprechen sich gegenseitig: „Ich will dir ein guter Partner fürs Leben sein.“ Sie küssen sich, ein wenig hastig, tauschen goldene Ringe, eingraviert darin Name und Datum.

Die Hände schwitzen – ach, schon beim Ringkauf waren sie in Verlegenheit geraten. „Wo ist die Braut?“ hatte die Dame beim Juwelier wissen wollen. Der weiße Lincoln, inklusive Chauffeur 120 Mark am Tag, fährt aus dem Bild, das Video ist am Ende angelangt.

Pavel ist in die Küche gegangen. Auf dem Herd braten die Steaks, im Topf brodeln die Teigwaren mit Pilzen. Pavel sagt: „Wir haben uns vorgenommen, daß wir es zu Hause schön haben.“

Das haben sie. 90 Quadratmeter Dachgeschoßwohnung mit Wendeltreppe, 1.300 Mark Miete. Tiptop eingerichtet, schon nach wenigen Tagen. Alle Gläser ordentlich im Schrank und in der Vitrine. Alle Bilder an der Wand. An den Fenstern Gardinen. Nichts fehlt, nirgends. „Ich habe viel Zeit“, sagt Pavel.

Zeit den ganzen Tag. Zeit den ganzen Abend. Im Neubaugebiet Großkugel gibt es nichts, womit man sich ablenken könnte. Keine Kneipe. Kein Café. Wenn es beides geben würde, ist nicht sicher, ob Lars und Pavel hingehen würden. Oft gehen sie nicht aus. Mal ins Kino nach Leipzig oder Halle, aber auch nur selten. Hin und wieder kommt Lars' Familie sie besuchen, Mutter und Oma. Disco? Nicht ihr Fall. Sie würden gern Leute kennenlernen. Lars sagt: „Wir haben keine schwulen Freunde.“ Es sei schwer, sagen sie, Freunde zu finden.

Einmal haben sie es per Internet versucht. Ein Pärchen aus Meißen haben sie daraufhin getroffen. Die wollten noch am ersten Abend ins Bett, zu viert. Sie gingen ins Bett, zu viert. Pavel sagt: „Da habe ich gemerkt, wie sehr ich Lars liebe.“ Noch einmal haben sie die beiden Meißener getroffen. Wieder wollten die ins Bett. Aber Lars und Pavel sind nach Hause gefahren. Nie wieder haben sich die Meißener bei ihnen gemeldet. Daraufhin haben Lars und Pavel Versuche dieser Art gelassen.

Das sei eben der Unterschied zu Tschechien, sagen sie. In Deutschland sei die Schwulenszene irgendwie kälter. In Tschechien zähle noch Freundschaft und nicht nur das Bett. „Freundschaft ist für mich ein bedeutender Wert“, sagt Lars.

Der Tisch ist gedeckt. Pavel bringt das Essen. Dazu Wasser und Apfelsaft. Alkohol trinken sie nicht. Nur selten, „wenn Besuch da ist“.

Pavel sagt: „Für die Küche bin ich zuständig.“ Das gibt ihm das Gefühl, eigenständig zu sein, aber auch dazuzugehören: „Lars weiß immer, daß Klopapier im Haus ist und seine Wäsche gewaschen und gebügelt im Schrank liegt.“ Pavel betont: „Ich bin nicht gewöhnt, von jemandem zu leben. Aber zu zwanzig Prozent bin ich abhängig von Lars.“

Finanziell vor allem. Keine Aufenthaltsgenehmigung, keine Arbeitserlaubnis. Deswegen sind sie in diesen Flecken gezogen, vom sächsischen Cannewitz aus gesehen, wo die Dachdeckerfirma von Lars Kittlaus ihren Sitz hat, das erste Dorf in Sachsen-Anhalt. In diesem Bundesland, weiß Lars, hat der Landtag ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Gleichberechtigung für Lesben und Schwule wurde hier in Gesetzen festgeschrieben.

Beide hoffen, daß die jetzt für sie zuständige Ausländerbehörde in Halle nicht mehr so glatt ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ablehnen wird. Einen solchen Antrag haben sie noch einmal bei der Deutschen Botschaft in Prag gestellt. Der Gleichstellungsbeauftragten von Sachsen-Anhalt ist kein Fall bekannt, daß die Ausländerbehörden in der Frage „binationale Partnerschaft“ positiv entschieden haben. Dennoch hängen Lars und Pavel dem Prinzip Hoffnung an.

Und wenn nicht? Jan Mücke, FDP- Bundestagskandidat in Dresden, sagt: „Es ist eine Katastrophe, wenn Menschen innerhalb eines Landes umziehen müssen, nur weil das eine Bundesland eine konservative Landesregierung hat.“ Liberalere Regelungen wie in Nordrhein-Westfalen sind an Bedingungen geknüpft – zum Beispiel: Die Partner müssen die Ernsthaftigkeit ihrer Beziehung nachweisen. Eine ähnliche Empfehlung an die Ausländerbehörden hat kürzlich sogar Berlins CDU- Innensenator herausgegeben. In Sachsen sieht sein Parteifreund, der Innenminister, keinen Handlungsbedarf in dieser Frage.

In Großkugel schieben sich die Wolken zusammen. Es fängt an zu regnen. Die hellblauen Neubaublocks färben sich dunkelblau. Lars redet über seine Angst, daß Pavel aufgeben könnte. Davon hat Pavel in letzter Zeit öfter gesprochen. Schon einmal, da haben sie noch in Dresden gewohnt, ist Pavel richtig durchgedreht. Obwohl er mehr Ablenkung hatte als in Großkugel. War stundenlang in Kaufhäusern spazierengegangen, hatte einen Hund und Lars' Familie in der Nähe. Trotzdem hatte er es nicht mehr ausgehalten, immer nur die Wohnung anzustarren. „Ich habe immer gearbeitet. Ich fühle mich Scheiße, wenn ich nichts verdiene“, sagt Pavel. In Bayern waren es anfangs 1.200 Mark, umgerechnet gut 20.000 Kronen. So viel verdient in Tschechien ein Betriebsdirektor oder ein Ingenieur.

„Klar“, sagt Pavel, „jeder ist doch bestrebt, in dem Land zu leben, in dem es ihm bessergeht.“ Materiell geht es ihm hier schlechter als in Tschechien, aber nur in Deutschland kann Lars leben. „Klar“, sagt Pavel, „Deutschland hat viele Ausländer. Aber ich liebe Lars.“ Vor dem Gesetz zählt diese Liebe nichts.

Lars sagt: „Ich brauche im Privatleben Sicherheit und Harmonie, weil ich beides im Berufsleben nicht habe.“ In der Baubranche ist es mit der Konjunktur nicht weit her. Die Dachdeckerfirma in Cannewitz, an der Lars Kittlaus mit einem Fünftel beteiligt ist, stand Ende vorigen Jahres vor der Pleite, die Außenstände waren auf 30.000 Mark angewachsen; der Konkurs konnte gerade so abgewendet werden.

Fünf Monate hat Lars Kittlaus damals auf Lohn verzichtet. Daß wenigstens die zwölf Angestellten Lohn bekommen, dafür hat er gesorgt. Den Laden hinschmeißen? Manchmal hat Lars schon daran gedacht. „Eine Bombe in den Laden schmeißen – und aus.“ Und dann? In Tschechien leben? So, wie es ihm die Ausländerbehörde nahegelegt hat? Die Lebensgemeinschaft könne auch in Tschechien geführt werden, hat ein Beamter gemeint. Dort würde man ihm, einem Deutschen, gewiß den Aufenthalt genehmigen.

„Aber“, sagt Lars, „dort habe ich keine Existenzgrundlage.“ Leise schiebt er nach: „Dieser Staat will doch lieber seine eigenen Leute loswerden, als daß man mir und meinem Freund ein Leben in Deutschland möglich macht.“ – Pavel fügt an: „Als seien wir nichts.“

Pavel räumt den Tisch ab, gleich nach dem Essen. Das ist sein Part, das ist das, was man ihm in die Beziehung einzubringen erlaubt. Wie den Abwasch, den er sofort erledigt. Pavel hat die Hausfrauenrolle übernommen.

Lars hat sich auf die Couch gelegt, vor dem Fernseher. Nicht, daß er ein Macho wäre, aber er ist schon ein anderer Typ als Pavel. Weniger romantisch. Er kuschelt nicht so gern wie Pavel, er hat es nicht so gern, Hand in Hand durch die Straßen zu laufen, er mag lieber Formel1 im Fernsehen schauen als Tierfilme und lieber am Strand Urlaub machen, als auf der Wiese zu liegen und „nach oben zu schauen“, wie es Pavel gern hat.

Lars ist ein Arbeitstier, meist zwölf bis vierzehn Stunden ist er in der Firma. Manche sagen ihm nach, er sei arrogant und habe einen autoritären Führungsstil. „Ich hasse nichts mehr, als über Entscheidungen diskutieren zu müssen“, das sagt der Gescholtene selbst. Lars tut sich offenbar schwer, Zuneigung, Liebe, Gefühle überhaupt zu zeigen. In der Firma darf seine Homosexualität kein Thema sein, vielleicht, weil Arbeiter auf dem Bau aggressiv reagieren würden und er dadurch seine Autorität verlieren würde.

Pavel bringt Kaffee. Setzt sich auf die Couch, im Schneidersitz, er zeigt Fotos. Von der Hochzeitsreise nach Lanzarote. Von der Kinderzeit in Sokolov. Es ist dunkel geworden in Großkugel. Noch stiller. Lars zappt durch die Kanäle. Bleibt hängen bei „Premiere“, bei irgendeinem amerikanischen Drama. Pavel muß bei solchen Filmen immer weinen.

„Dieser Staat“, sagt Lars nach einer langen Weile, „will doch beschissen werden.“ Soll Pavel heiraten? Auf diesem Umweg eine Aufenthaltsgenehmigung erheischen? Darüber haben sie schon nachgedacht. Bei binationalen Hetero-Ehen erhält der ausländische Partner eine dreijährige Aufenthaltsgenehmigung samt Arbeitsgenehmigung. „Wir wollen ehrlich sein und werden dafür bestraft“, findet er.

Lars Kittlaus war schon einmal heterosexuell verheiratet, vor seinem Coming- out. Damals dachte er noch, ganz den Werten seiner Umwelt trauend, Liebe gebe es nur zwischen Mann und Frau. Weshalb ein Mann eine Frau heiraten müsse. Inzwischen hat er gelernt, daß viele Beamte immer noch so denken – und sich hinter ihren Paragraphen verstecken: „Das kotzt mich an.“

Ein Dutzendtag geht zu Ende. Lars und Pavel legen sich schlafen. Haben, wie Pavel am nächsten Morgen sagt, wieder einmal richtig guten Sex gehabt.

Bernd Hartung, Jahrgang 1967, lebt als Fotograf in Berlin. Schwerpunkte: Sozialreportagen, Portraits.

Jens Rübsam, Jahrgang 1970, arbeitet seit zwei Jahren als Reporter für die taz und lebt, fest liiert, in Berlin.