Einbahnstraße Tourismus

Zwei Bücher setzen sich mit dem Tourismus auseinander: „Trouble in Paradise“ analysiert vor allem den Dritte-Welt-Tourismus. Auch „alternatives Reisen“ wird kritisch unter die Lupe genommen. „Gratwanderung Ökotourismus“ macht Bestandsaufnahme  ■ Von Christel Burghoff

Man glaubte sie längst verflossen, aufgelöst in der Welt der Ökogütesiegel und sanften Reiseprojekte. Jetzt nehmen gleich zwei Bücher die alten Fäden der Tourismuskritik wieder auf. Das eine, „Trouble in Paradise“, wurde vom Informationszentrum Dritte Welt (iz3w) in Freiburg gemeinsam mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) herausgebracht und ist die Neukonzeption eines tourismuskritischen Klassikers von vor zwölf Jahren („Klar schön war‘s, aber...“). Das andere Buch, „Gratwanderung Ökotourismus“, ist als dreizehntes „Jahrbuch für Ökologie und indigene Völker“ der Ökozid-Redaktion in Bielefeld erschienen (und fußt ebenfalls auf Arbeiten aus den Achtzigern). Beide Bücher gehen den zerstörerischen Wirkungen des Tourismusbooms nach. Und beide ergreifen explizit Partei für die „Bereisten“.

Vor allem die Autoren des iz3w- Buches betreiben auf den ersten hundert Seiten etwas mittlerweile Verpöntes, nämlich „politisch- ökonomisch argumentierende Tourismuskritik“. Dies gelte heutzutage als ideologisches Überbleibsel der siebziger Jahre, so stellen sie – sicher zutreffend – fest. Und wie damals (dieselbe Sprache, dasselbe Denkmuster) untersuchen sie die wirtschaftlichen Auswirkungen des Tourismus (eine „trügerische Hoffnung“ für die Dritte Welt), fragen nach Gewinnern und Verlierern („die Gewinner: TUI und Co“) und lüften die Verstrickung zwischen Tourismus und Politik („mit Tourismus wird Politik gemacht“). Die Fakten und das Zahlen- und Tabellenmaterial sind drastisch-plastisch und belegen, daß Tourismus eine Einbahnstraße geblieben ist, auf der die Probleme der Dritten Welt sich nicht lösen, sondern eher verschärfen, denn der globale Markt schafft neue Bedingungen. Gatt, Gats, MAI usw. sind die Kürzel, die gelegentlich in den Medien auftauchen, ohne daß man genau weiß, daß sich dahinter neue internationale Vereinbarungen zur Liberalisierung des Weltmarktes verbergen. Einer der Beiträge (Christine Plüss) dröselt die neuen Bedingungen auf. Und man stellt betroffen fest, daß die Spielräume der Bereisten für eine „nachhaltige Tourismusentwicklung“, die ihnen einen gewissen Nutzen verspricht, immer geringer werden.

Diese Spielräume sind der Schwerpunkt des Ökozid-Buches. Im Unterschied zum iz3w kommt es eher als ein Erfahrungsbericht der engagierten Helfer daher. Und es gibt Aufschluß über deren Aktivitäten, angefangen vom Ökotourismus bis hin zur Urlauberbeeinflussung. Das Buch spiegelt eine Welt des Engagements an allen möglichen Brennpunkten der Erde und der unterschiedlichsten Aktionsformen. Etliche Aktive sind seit über 20 Jahren im Einsatz. Und das ist eine lange Zeit, in der sich viel entwickeln konnte. Viel Engagement entzündete sich dort, wo sich Tourismus rasant ausbreitete. Etwa in den Alpen. Hier wehren sich lokale Gruppen gegen den Ausverkauf ihrer Landschaft und Kultur und gegen Überfremdung, eine sanfte Bewegung bastelt an einem „anderen Tourismus“ mit Hilfe „sozial- und umweltverträglicher“ Projekte und vernetzt sich, so weit es geht, neue, sanft gewendete Angebote kommen auf den Markt. Als bessere touristische Variante gedacht, hat der Ökotourismus viele Interessenten angelockt – nicht bloß die Wohlmeinenden. Unter Ökotourismus werden heutzutage selbst die klassischen Abenteuerreisen angeboten. Hauptsache, es geht in die Natur.

Die meisten Autoren stehen solchen Entwicklungen zwiespältig gegenüber. Einerseits stehen sie hinter ökotouristischen Ansätzen, andererseits beklagen sie jedoch, daß diese oft genug ins Gegenteil verkehrt werden, wenn sie Marktform annehmen. Auf den Galapagos-Inseln etwa habe Tourismus den Raubbau an der Natur erst ausgelöst. Dieses Fazit gilt für viele Projekte. Im ganzen gesehen wird eine düstere Bilanz gezogen: „Das schiere Wachstum der Branche läßt die Modellprojekte schon rein zahlenmäßig wie Tränen im Ozean erscheinen.“ (Stäbler/Kamp). Und der enttäuschte Unterton, der aus vielen Beiträgen spricht, läßt auf die hohen Erwartungen schließen, die damit verknüpft waren.

Erfolgreich waren offenbar nur die Kirchen mit ihrer Kampagne gegen Kinderprostitution.

Nicht, daß man den Mißbrauch von Kindern nun eindämmen konnte, aber auf internationaler Ebene wurde die rechtliche Verfolgung krimineller Freier erreicht. Medienpräsenz und die internationale Vernetzung der aktiven kirchlichen Gruppen sind weitere Erfolge. Die Kirchen brachten den Sextourismus bis in die Vorstandsetagen der Tourismuskonzerne in Verruf. Man darf auch annehmen, daß die großen Naturschutzverbände erfolgreich arbeiten. In einem Beitrag über Kirgistan klingt an, daß der Deutsche Naturschutzbund dort an der Einrichtung eines Biosphärenreservates der Unesco beteiligt ist. Dies spricht für die Präsenz zahlreicher anderer Akteure, die gleichfalls am „nachhaltigen“ Tourismus mitwirken. Über die Rolle der Verbände und ihre Verbindung zu Tourismusprojekten hätte man gern mehr gewußt. Leider schweigen sich die Autoren darüber aus.

Das Buch reizt zu Spekulationen über die Akteure selbst: Darüber, wie sie sich selbst sehen, wie sie ihre Möglichkeiten einschätzen, tatsächlich etwas zum Besseren zu wenden, wo sie reale Handlungsspielräume sehen. Denn daß sie sich von ihrem Engagement viel versprochen haben und versprechen, steht außer Frage. Das Ökozidbuch gibt darüber nur vage Auskünfte. Die meisten Autoren berichten über ihre Arbeits- und Interessengebiete. Und darüber, was sie für wichtig und richtig halten. Eine selbstkritische Einschätzung der Aktivitäten findet – auch rückblickend – nicht statt. Einem Buch, das sich den Untertitel „Strategien gegen den touristischen Ausverkauf“ gegeben hat, hätte man eine „Strategiediskussion“ durchaus zugetraut.

Aber vielleicht stehen sich stetes Engagement und Selbstdistanz einfach im Wege.

Das iz3w-Buch geht in den meisten Beiträgen analytisch schärfer vor. Man wird die Autoren mehrheitlich jener Fraktion zurechnen dürfen, die an gute Entwicklungen schlicht nicht glaubt – im Unterschied zu den „Sanften“, die sich in erster Linie für Projekte interessieren. Sogar „alternatives Reisen“ wird gründlich aufs Korn genommen.

Backpackern, Travellern und Esoterikern liefern Günter Spreitzhofer wie Eduard Gugenberger eine furiose Abrechnung. Geradezu leidenschaftlich rollen sie deren „hedonistische Have- a-good-time-Mentalität“ auf. Als wären ausgerechnet Rucksackreisende die Inkarnation der touristischen Expansion. Ihre Enklaven sollen mittlerweile wie „Giftpilze aus dem billigtouristischen Gestrüpp“ Südostasiens sprießen und das „westliche Vordringen“ in Neuland unkontrollierbar machen. Klar: der Traveller ist kein besserer Mensch als der Pauschaltourist, nur weil er anders reist. Und Freaks scheißen die schönsten Strände zu. Aber hat man je davon gehört, daß für Rucksacktouristen Berge planiert, Wälder gerodet und Menschen vertrieben werden wie für die Klientel der Großveranstalter? Politische Saubermänner oder touristische Investoren könnten die Traveller nicht brillanter runterputzen als die iz3w-Autoren. Der Grund für Touristiker: Rucksacktouristen stören. Das Ziel: Stimmung machen für viele neue Großprojekte.

Christian Stock (Hrsg.): „Trouble in Paradise. Tourismus in die Dritte Welt“. Freiburg und Düsseldorf 1997, 272 Seiten, 29,80 DM

Yörn Kreib / Angela Ulbrich (Hrsg.): „Gratwanderung Ökotourismus. Strategien gegen den touristischen Ausverkauf von Kultur und Natur“. Ökozid 13, Gießen 1997, 248 Seiten, 29,80 DM