Polizeieinsatz weiter ungeklärt

Polizeigewerkschaft übt scharfe Kritik daran, daß es immer noch keine „vernünftige Nachbereitung“ des Polizeieinsatzes am 1. Mai in Prenzlauer Berg gab  ■ Von Kathi Seefeld

Nach knapp zwei Monaten gilt es unter der Polizei noch immer als ungeklärt, wie es zu den – nach Einschätzung Beteiligter und Betroffener – „heftigsten und gewalttätigsten Auseinandersetzungen“ am Rande der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ nach 1989 im Bezirk Prenzlauer Berg kommen konnte.

Zwar haben sich die Wogen zwischen Polizeiführung und Gewerkschaft der Polizei (GdP) nach Einschätzung ihres Sprechers Klaus Eisenreich mittlerweile geglättet. Von „chaotischen Zuständen in der Führung“, die GdP-Landeschef Eberhard Schönberg unmittelbar nach dem mißglückten Einsatz sah, ist nicht mehr die Rede. 144 zum Teil schwerverletzte Polizisten seien aus Sicht der Polizeigewerkschaft aber Grund genug, so Klaus Eisenreich, auf eine „vernünftige Nachbereitung“ der Ereignisse vom 1. Mai dieses Jahres zu bestehen.

Die Liste eingestandener Versäumnisse seitens der Polizeiführung ist nicht gerade unbeachtlich. Bereits vor zwei Wochen hatte Landespolizeidirektor Gernot Piestert vor dem Innenausschuß des Abgeordnetenhauses von einer Reihe „taktischer Fehler“ gesprochen: Während die Einsatzkräfte der Polizei auf die Bereiche Humann- und Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg konzentriert wurden, standen anfangs nur 500 Beamte westlich der Schönhauser Allee bereit – ganze Straßenzüge und vor allem Baustellen entlang der Strecke, den die Demo nahm, konnten nicht oder nur wenig gesichert werden. Als sich der Zug der schätzungsweise 6.000 Demonstranten aufgrund eines Feuerwehreinsatzes teilte, wähnte die Polizeiführung potentielle Randalierer nach Aussagen Piesterts im vorderen Teil des Protestzuges. Steine flogen dann aber weiter hinten, wo die unter Druck geratenen Beamten vergeblich auf Verstärkung warteten.

Ob die ausgebliebene Unterstützung durch andere Einheiten auch auf Rivalitäten unter Einsatzleitern und die Unfähigkeit des mit dem Einsatz betrauten Leitenden Polizeidirektors der Direktion 7, Buchholz, zurückzuführen ist, gilt bis auf den heutigen Tag als Spekulation. Oder als, wie Polizeipräsident Hagen Saberschinsky meinte, „übles Machwerk“, in die Welt gesetzt von einem Beamten, der sich nach dem Demo-Debakel mit verfremdeter Stimme im Rundfunk geäußert hatte. Zwischen den Einheiten der Bereitschaftspolizei bestünden zudem keine Feindseligkeiten, sondern lediglich eine „sportliche Konkurrenz“ um Anerkennung, so Saberschinsky.

Der Gewerkschaft der Polizei gehen solche Betrachtungen nicht weit genug. Schon gar nicht, seit besagter kritischer Hauptkommissar, wie Klaus Eisenreich mitteilte, durch den Leitenden Polizeidirektor Buchholz im Abschnitt versetzt worden ist. „Wenn das die einzige Botschaft aus einer Nachbetrachtung zum 1. Mai bleibt, ist das mehr als nur bedauerlich“, so der Gewerkschaftssprecher, „damit verschreckt man die Leute.“ Berlin, so Eisenreich, erwarte noch viele Demos. „Wenn eine gut läuft, hat ein Verantwortlicher immer auch Glück gehabt, Voraussetzung aber ist, er versteht sein Handwerk.“ Offensichtlich seien in diesem Jahr aber mehrere handwerkliche Fehler passiert.

Bis heute gibt es keine plausible Erklärung, warum statt von 144 verletzten Beamten nur von 17 die Rede war. Ein „Bürofehler“ heißt es in Polizeikreisen. Der Öffentlichkeit von Anbeginn etwas vormachen, wollte offensichtlich Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), als er noch vier Tage später erklärte, daß es beim diesjährigen 1. Mai „weniger Krawalle und Zerstörungen als in den Vorjahren“ gegeben habe, obwohl sowohl Demonstranten als auch Anwohner und Polizeibeamte schon Stunden nach dem Debakel von den schwersten Auseinandersetzungen an einem 1. Mai nach dem Fall der Berliner Mauer sprachen.

Daß jemals ein Interesse an einer lückenlosen Aufarbeitung der „offensichtlichen Führungsfehler“ bei Innensenator und Polizeiführung bestanden hat, bezweifelt der innenpolitische Sprecher der SPD- Fraktion im Abgeordnetenhaus Hans-Georg Lorenz. Er selbst, so Lorenz, habe zur Aufklärung der Ereignisse zwei ihm vorliegende „sehr sachliche Augenzeugenberichte“ von Demonstranten angeboten. „Es besteht kein Bedarf.“ Lediglich, als es gegolten hätte herauszufinden, „wer das ,Loch‘ in den eigenen Reihen war“, sei übermäßiger Eifer an den Tag gelegt worden. Der SPD-Abgeordnete bedauert darüber hinaus die Verweigerungshaltung bei Polizeiführung und Innensenator, noch weiter über Deeskalation und Verhältnismäßigkeit der Mittel zu sprechen. Für Lorenz ist „Schönbohms Gerede“ über ein kompromißlos hartes Vorgehen nach wie vor einer der entscheidenden Gründe, weshalb Polizei und Demonstranten am 1. Mai in Prenzlauer Berg so überaus heftig aneinandergerieten. Wer Einsatzkräfte schon im Vorfeld motiviere, mit Härte einzugreifen, „obwohl der Staat und seine Polizei von Natur aus die Stärkeren sind“, der dürfe sich nicht wundern, wenn einerseits Beamte in komplizierten Situationen besonders hart zuschlagen, sich bei Demonstranten andererseits das „Feindbild Polizist“ weiter verfestige. Morgen wird der Innenausschuß des Abgeordnetenhauses erneut über den Polizeieinsatz debattieren.