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Und sie bewegen sich doch!

Mönche in Ganzkörperlampions, Forscher mit Picard-Appeal und taumelnde Tänze als Trockenübung ohne Musik: In Nordhausen inszenierte Armin Petras Brechts „Leben des Galilei“ als gruppendynamisches Dranbleiben in einer Funny Starship Picture Show  ■ Von Petra Kohse

Mit dem Flugzeug von der Bonner Biennale kommend wieder in Berlin landen und gleich hinein in den Bummelzug nach Nordhausen im Thüringischen – das ist zeitgemäßer Kritiker-Jet-set der Entschleunigung und die richtige Einstimmung für Brechts Himmelgucker-Stück „Leben des Galilei“, das in der Inszenierung von Armin Petras am Freitag Premiere hatte. Deutschland! Unendliche Weiten... Zwischen Botschaftsvillen am Park und dem vernagelten Fenster eines ehemaligen „Gastmahl des Meeres“ tickt noch vielerlei Sternzeit in dieser Republik. Und wer die Parade von Billigshops in der Nordhäuser Fußgängerzone passiert hat, wundert sich auch nicht, daß auf dem Büchertisch im Theater außer zwei lila Suhrkamp- Ausgaben des „Galilei“ ausschließlich Trekkie-Bedarf zu finden ist: Bücher, Bausätze und ein kopiertes Fanzine – in der Science- fiction ist zweifellos Fortschritt und die Enterprise ein Sehnsuchtsort für intergalaktische Gerechtigkeit: Picard, can you hear me? Beam me up!

Ganz so zielgerade aber überführt Armin Petras die Brechtsche Welt des zwischen Forschertrieb und Repression sowie Verantwortung und Geltungsdrang doppelt zerrissenen Galilei doch nicht in die Funktionalitätsfolklore des Star-Trek-Universums. Daß ein Mensch an den Verhältnissen zweifelt und bricht, läßt sich nicht wirklich auf eine der stets in wenigen Sekunden spezifizierbaren Komplikationen im Subraum der Enterprise herunterkürzen. Ernsthaft darstellbar erscheint Petras die solistische Konfrontation eines Ichs mit der Welt jedoch auch nicht mehr, und so läßt er das Ideendrama in die Leere der Ratlosigkeit laufen und hat aus den Handlungsresten eine Zauberposse unter tief hängenden Wattewolken gebastelt.

Tatsächlich sind der ungebrochene Glaube an Forschung und Fortschritt wie die Annahme, ein einzelner könnte den Fortlauf der Dinge stoppen oder befördern, heutzutage selbst nur noch Folklore. Brechts Wissenschaftlerdrama ist im Zeitalter der Wissenschaft obsolet geworden, weil es vom Menschen erzählt statt vom Selbstlauf des Systems. Sogar im Berliner Ensemble konnte B.K. Tragelehn aus dem „Galilei“ vor einem halben Jahr nichts anderes machen als eine ratlose Skizze, mit einem Sepp Bierbichler in der Hauptrolle, der den ehrgeizigen Astrophysiker von Anfang an als Gescheiterten spielte.

Depression aber ist bekanntlich Armin Petras' Sache nicht. Die Tristesse zum Tänzchen bitten, je ärger je doller, das ist schon eher seine Art. Und so rollen Kardinäle, Herzöge und Mönche als giggelnde Betriebsausflügler über Annette Riedels Pappmachébühne unterm falschen Sternenhimmel, während der Kreis um Galilei für die glamourösen Einlagen sorgt. „Hi Baby, ich bin der Ludoficko“ gurrt Franz Voigtmann als Ludovico im lila Glanzstretch und mit Big Hair über dem enormen Brillengestell, bevor ihm Galileis Tochter Virginia anheimfällt, die Diana Neumann mit nervöser Trampelhaftigkeit als sinnliche Elfe spielt. Galilei selbst ist Andreas Haase. Mit Glatze und betont aufrechter Haltung Patrick Stewart als Captain Picard nicht unähnlich, wandelt er sich, nachdem er seiner Lehre abgeschworen hat, vom besonnenen Macher zum filzbärtigen Catweazle der Astronomenstube.

Herrliche Kostüme tragen alle: Naturfarbene Pludergewänder mit Bequemschuhen die Mönche, lang Flatterndes und glitternd Transparentes die anderen, und wenn Andreas Leupold als Doge auf höchsten Plateausohlen einherschreitet, ducken sie sich und springen wie Karnickel in die Höhe, wenn sein Fuß donnernd den Boden berührt. Zum Maskenball im Haus des Kardinals hat Michaela Barth das ganze Ensemble gar in Ganzkörperlampions in Form von Gestirnen gesteckt, Galilei trägt die Erdkugel spazieren. Um Gruppe und Gruppenbewegung geht es viel, immer wieder gibt es Ringelpietz und Übereinanderstolpern, Weglaufen und Zusammenfinden in einer wackligen Chorus Line und einmal sogar chorisches Sprechen in bester Schleef-Intonation als Parodie. Eine Funny Starship Picture Show, aber der Witz bleibt recht äußerlich. Immer wieder sorgen zwar Pausen für Irritation, oder es werden plötzlich die Regiebemerkungen eingesprochen und die Handlungsteile pantomimisch skizziert. Aber auch das schafft auf der spielerischen Ebene keinen doppelten Boden. Das Ideendrama wird schwungvoll ausgehebelt, doch nichts anderes tritt an seine Stelle, außer vielleicht das Auf-der-Stelle-Treten selbst.

Die für mich stärkste Szene der Inszenierung ist ein taumelnder Tanz (war es zu Money Mark? Bis hin zu Rio Reiser wird nämlich einiges aufgelegt, während die Pflichtmusik ja von Hanns Eisler stammt), bei dem jeder für sich allein am Start ist. Man ruft sich Text zu und strampelt vor sich hin, bis die Musik wegbleibt und der Tanz zur Trockenübung wird, bei der nur der Entschlossenste in der Vertikalen bleibt. Das Drama des einzelnen als gruppendynamisches Dranbleiben – und sie bewegen sich doch!

Am Ende ist der Boden mit Watte bedeckt, und ein Heer von Rollstuhlfahrern mit Rechenmaschinen oder Laptops schiebt sich an die Rampe. Galilei hat trotz Hausarrest seine Aufzeichnungen heimlich fortgesetzt und sie seinem Schüler Andrea (Meinolf Steiner) gegeben, der ihn wegen des Widerrufs jahrelang verachtet hat und nun erstmals wieder zu Besuch gekommen ist. Das System treibt auch den Blessierten voran – das Stephen-Hawking-Kollektiv ist ein sofort, aber nicht lange einleuchtendes Bild: Denn wenn es mehr Hawkings als beispielsweise Konzernchefs gäbe, wäre der Fortschritt vielleicht wirklich unser.

Ursprünglich wollte Armin Petras das „Leben des Galilei“ übrigens in einer Nordhäuser Kirche inszenieren. Aus Angst aber, daß eine „pauschale Kirchenkritik“ daraus werden könne, wurde ihm das geistlicherseits verboten. So inszenierte er eine pauschale Wissenschaftskritik, obgleich in Nordhausen eine Veranstaltung mit Peter Glotz zu dem Thema, inwieweit die Medien die Literatur gefährden, schon zu den Höhepunkten des geistigen Lebens gehört.

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