■ Albaner: Der Kosovo-Konflikt ähnelt dem Kurden-Problem
: Der Traum von Großalbanien

Das Kosovo-Problem ist vertrackter, als es scheint. Denn es geht nicht nur um den Kosovo und serbische Empfindlichkeiten, sondern um die albanische Frage, die seit über 100 Jahren ihrer Klärung harrt. Der Kosovo ist nicht mit Bosnien, sondern mit dem Kampf der Kurden für einen eigenen Staat vergleichbar.

Die Albaner wollen nicht das einzige geteilte Volk Europas bleiben. Im Mutterland lebt nicht einmal die Hälfte von ihnen. Kompakt wie im Kosovo gibt es sie nur in drei weiteren Bezirken Südserbiens, einem Drittel Makedoniens, einem Fünftel Montenegros und im Epirus in Griechenland. Athen jedoch behauptet, daß die dort albanisch sprechenden, orthodoxen Menschen Griechen seien, und da man es mit einem Mitglied der Nato und EU zu tun hat, hütet man sich zu widersprechen.

Der Separatismus der Kosovo-Albaner hat ein reales, aktuelles Motiv. Zwar träumten auch die albanischen Eliten in Titos Jugoslawien schon von Großalbanien – doch sie sahen sich nicht als Verwalter einer Provinz Tiranas, sondern als Führungsschicht des ganzen Landes. Das stimmte besonders zu jenen Zeiten, als Hodscha Albanien in die totale Isolation trieb. Den Regierungen in Tirana sind die Kosovo-Albaner deshalb noch immer nicht geheuer.

Erst als Milošević Serbien in ähnliche Vereinsamung trieb wie Enver Hodscha Albanien, schlug für die national selbstbewußten Albaner im Kosovo die Stunde. Für sie ist ein unabhängiger Kosovo die erste Stufe auf dem Weg zum Ziel Großalbanien. Umstritten ist der Weg. Der Essayist und Gandhi-Verehrer Rugova setzt auf Zeit und rechnet mit dem Geburtenüberschuß der Albaner. Viele junge albanische Intellektuelle wollen den Umbruch jedoch schon für die eigene Generation, weil sie für sich sonst nirgendwo Lebenschancen sehen. Von ihrem Standpunkt aus kann Rugova verhandeln, mit wem und wo er will, in Miloševićs „weißem Schloß“ oder Clintons Weißem Haus. Ihre militärische Organisation UCK kämpft im Kosovo weiter und bereitet sich auf Makedonien vor.

Wenn man in den Serben nur Urheber von Repression sieht, geht man an den Fakten vorbei. In den letzten drei Monaten vergrößerten albanische Rebellen von Woche zu Woche das Gebiet, zu dem die serbische Ordnungsmacht keinen Zutritt mehr hat. Schmuggelpfade werden für den Transport von Waffen aus Albanien aktiviert. Täglich werden Polizeistationen angegriffen und Grenzsoldaten getötet, ethnische Albaner, die die Freischärler für Kollaborateure halten, werden gefoltert und hingerichtet. Die „befreiten“ Gebiete werden ethnisch von Serben gesäubert. Die gnadenlosen serbischen Rachefeldzüge finden die „Terroristen“, wie sie ihre Gegner nennen, nicht. Die haben sich in die Berge zurückgezogen, die Vergeltungsschläge treffen Zivilisten.

Dazu kommt, daß es sich nicht nur um die „Befreiungsarmee“ UCK handelt, sondern um zwei weitere Faktoren. Bei den Albanern auf dem Lande gilt teils noch die Pflicht der Blutrache. Hat ein Polizist ein Mitglied der Sippe umgebracht und der Mörder ist ihr nicht persönlich bekannt, „schuldet“ die uniformierte Polizei Blut. Und wie in Albanien im Vorjahr gibt es Banden, die einfach auf Raub aus sind.

Man kann Belgrad, Serbien und Jugoslawien unter Druck setzen, Rugova auch, aber die UCK nicht. Inzwischen kündigen serbische Polizisten den Dienst, gegen die Versendung serbischer Rekruten in den Kosovo wird landesweit protestiert. Deshalb hat Milošević in Moskau übrigens zumindest rhetorisch eingelenkt. Was also tun? Man kann, wie in Bosnien, mit viel Geld und angedrohter Macht eine Befriedung durchsetzen. Doch auch dann wird der Wunsch aller Albaner, einen gemeinsamen Staat zu bilden, bleiben.

Eine dauerhafte Lösung kann nur lauten: „Auf Wiedersehen in Europa“. Nur in einem „Europa der Regionen“, in dem Staatsgrenzen weniger wichtig sind, regionale Eigenheiten jedoch hoch geachtet werden, wird sich die Antwort auch auf das Problem Kosovo und die albanische Frage finden. Nur wenn jeder reisen kann, wenn er Geld hat, arbeiten darf, wenn er Arbeit findet, ohne daß man nach seinem Reisepaß fragt, wird die Gewalt enden. Früher leider nicht. Ivan Ivanji

Freier Publizist, lebt in Belgrad und Wien