Bayerns 218-Modell in der Defensive

■ Heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht über das bayerische Sonderrecht gegen spezialisierte Abtreibungskliniken. Dabei wird es um die Frage gehen, inwieweit die Länder Bundesregelungen unterlaufe

Freiburg/Berlin (taz) – Jetzt wird es ernst. Nachdem das Bundesverfassungsgericht den bayerischen Sonderweg beim Abtreibungsrecht zweimal per einstweilige Verfügung gestoppt hatte, wird heute in der Hauptsache verhandelt. Für die betroffenen Ärzte steht die Existenz ihrer Kliniken auf dem Spiel, für Bayern das Herzstück seiner Anti-Abtreibungs-Politik.

Das bayerische Schwangerenhilfe-Ergänzungsgesetz kommt faktisch einem Verbot spezialisierter Abtreibungspraxen im südlichsten Bundesland gleich: Ärzte dürfen mit Abtreibungen nicht mehr als 25 Prozent ihrer Einnahmen bestreiten. Von dieser Deckelung wären vor allem die auf Abtreibungen spezialisierten Kliniken der Ärzte Friedrich Stapf in München und Andreas Freudemann in Nürnberg betroffen. Die beiden Mediziner führen rund sechzig Prozent der in Bayern jährlich vorgenommenen Schwangerschaftsunterbrechungen durch.

Gefährdet sind aber auch drei weitere Kliniken in Lindau, in Dingolfing und bei Würzburg. Dort werden neben den Abbrüchen auch gynäkologische Behandlungen vorgenommen. Da auch diese Ärzte mehr als 25 Prozent ihrer Einnahmen mit Schwangerschaftsabbrüchen erzielen, haben sie sich den Verfassungsbeschwerden angeschlossen. Für alle fünf Ärzte sind die Wirkungen des bayerischen Sonderrechts bislang ausgesetzt. In einer ersten mündlichen Verhandlung im letzten Juni konnte Bayerns Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) nämlich nicht nachweisen, daß ohne die Spezialisten genügend ambulante Abtreibungsmöglichkeiten in Bayern bestehen. Die aber sind nach dem bundesweit geltenden „Lebensschutz-Konzept“ erforderlich, weil Frauen nicht mehr schikaniert, sondern fair behandelt werden sollen. Abtreibungstourismus soll vermieden und nicht gefördert werden, damit sich die Frau auch kurzfristig umentscheiden kann.

Inzwischen hat Stamm nachgebessert. Dank der Zusagen von 111 Ärzten und 24 Krankenhäusern kann sie eine jährliche Kapazität von 17.500 ambulanten Schwangerschaftsabbrüchen in Bayern vorweisen. Das sind deutlich mehr als die im Vorjahr in Bayern durchgeführten rund 14.000 Abbrüche. Deshalb wird es diesmal in Karlsruhe im Schwerpunkt um Rechtsfragen gehen.

Vor allem die Gesetzgebungskompetenz der Bayern ist umstritten. Dabei geht es um die Frage, ob die Bundesregelung, wonach spezialisierte Kliniken zugelassen sind, „abgeschlossen“ ist oder ob sie noch Lücken für eigenständige Akzente der Länder läßt. Rechtsprofessorin Monika Frommel, die einen der Ärzte in Karlsruhe vertritt, rechnet fest mit einem Erfolg vor dem Verfassungsgericht: „Erst jüngst hat Karlsruhe klargestellt, daß die Länder Bundesregelungen selbst dann nicht unterlaufen dürfen, wenn sie noch eigenen Regelungsspielraum haben“, so Frommel. Sie beruft sich auf eine Entscheidung, die kommunale Verpackungssteuern und Ökoabgaben auf Sonderabfälle als verfassungswidrig erklärte, weil der Bund eine sanktionsfreie Abfallpolitik vertritt (taz 8.5. 1998). Nach Auffassung der bayerischen Staatsregierung kann man die beiden Fälle allerdings nicht miteinander vergleichen. Bayern beruft sich darauf, daß das Verfassungsgericht in seinem 218-Urteil von 1993 eine 25-Prozent-Regelung geradezu nahegelegt habe. Damals war der konservative Zweite Senat zuständig, während heute der liberalere Erste Senat verhandelt. Und der könnte den Argumenten von Freudemann und Co. zugänglich sein, wonach es sich eine spezialisierte Einrichtung viel eher leisten kann, eine unsichere Schwangere abzuweisen. Dagegen sei es für einen Arzt, der nur wenige Abtreibungen durchführt, viel lästiger, wenn sich seine Vorbereitungen im Einzelfall nicht rentieren. Mit einer Entscheidung wird bis spätestens Ende September gerechnet. Christian Rath/Uta Andresen