Keiner muß Frey & Co. Amtshilfe leisten

■ Vor der Bundestagswahl dürfen sich politische Parteien aus den Daten örtlicher Melderegister für ihre Wahlpropaganda bedienen. Datenschützer appellieren, die Wahlhilfe zu verweigern

Berlin (taz) – Immer mehr ostdeutsche Städte und Gemeinden weigern sich, rechtsextremen Parteien Schützenhilfe bei ihrer Wahlpropaganda zu leisten. Nach Dessau und Dresden wollen auch die mecklenburgische Landeshauptstadt Schwerin und Theodor Fontanes brandenburgische Geburtsstadt Neuruppin keine Daten mehr aus ihren Melderegistern an politische Parteien rausrücken. „Ausländer raus“-Hetzschriften und „Arbeitsplätze nur für Deutsche“- Pamphlete sollen so zumindest nicht mit behördlicher Hilfe in den Briefkästen landen. Andere ostdeutsche Städte wie Rostock und Wismar erwägen ähnliche Schritte.

Die ostdeutschen Kommunen schieben damit einer Praxis einen Riegel vor, die in der alten Bundesrepublik als selbstverständlich gilt: Sechs Monate vor Wahlen dürfen die örtlichen Meldebehörden Namen, Wohnanschrift und Alter aller Wahlberechtigten an politische Parteien und Wählervereinigungen weitergeben. So steht es im Melderechtsrahmengesetz des Bundes, und so regeln es auch die Meldegesetze der Länder. Vor allem die rechten Parteien schöpfen diesen Datenfundus für ihre Postwurfsendungen rege aus.

In Hamburg erreichte die DVU jeden zweiten

580.000 Datensätze ließ sich allein die DVU in Hamburg vor der letzten Bürgerschaftswahl liefern – sie kam damit an jeden zweiten Wahlberechtigten heran. Besonders die Adressen der Erstwähler, von den Meldebehörden nach Altersgruppen geschichtet, wecken das Interesse. Nach der Wahl verschickte die DVU promt Dankesbriefe mit persönlicher Anrede. Vor den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt schütteten die Frey-Gänger flächendeckend ganze Briefkästen mit ihrer Propaganda zu.

Spätestens eine Woche nach den Wahlen müssen die Parteien die übermittelten Daten zwar vernichten. Ob sie es wirklich tun, ist schwerlich zu kontrollieren. Als nichtöffentliche Körperschaften unterliegen Parteien nur einer eingeschränkten Überwachung der Datenschützer. Die Wächter über das informationelle Selbstbestimmungsrecht können nur bei konkreten Anhaltspunkten für einen Mißbrauch eingreifen. Experten, wie der brandenburgische Datenschutzbeauftragte Alexander Dix, appellieren denn auch an die Kommunen, vor den Bundestagswahlen die Meldedaten erst gar nicht herauszurücken.

Die Möglichkeit, die Propagandaflut zu stoppen, hätten die Behörden durchaus – vorausgesetzt, sie verweigerten nicht nur den rechtsextremen, sondern gleichermaßen allen Parteien ihre Daten. In den Meldegesetzen ist nämlich verfügt, daß Wählerdaten an Parteien weitergeben werden dürfen, nicht müssen. Schwerins Oberbürgermeister Johannes Kwaschik hat daher Anfang Juni entschieden, daß „das persönliche Recht, selbst über die Weitergabe von personenbezogenen Informationen zu entscheiden, höher zu bewerten ist als das Informationsbedürfnis einzelner Parteien“. Die sächsische Landeshauptstadt Dresden verfuhr schon vor vier Jahren so, und die Datenverweigerung, so sagte der Sprecher der Stadt, „ist bei den Bürgern gut angekommen“. Gerichtlichen Klagen, wie sie die NDP jetzt wortgewaltig Schwerin androht, können die Kommunen gelassen entgegensehen und sich auf entsprechende Verwaltungsgerichtsurteile berufen. Zuletzt scheiterte die DVU mit einer Klage gegen die Stadt Dessau wegen Datenverweigerung.

Jeder kann die Ausgabe der Daten verweigern

Eine generelle Datenverweigerung setzt jedoch den politischen Willen voraus und den Selbstverzicht der übrigen Parteien – wozu die großen Volkspartien oft nicht bereit sind. Auch sie lassen sich nur allzugern mit aktuellen Wähleradressen bedienen.

Wer sich dennoch gegen unliebsame Wahlpropaganda im Briefkasten oder gar vor Hausbesuchen schützen will, dem bleibt nur ein Weg: schriftlich bei der örtlichen Meldebehörde Widerspruch einzulegen. Das Recht dazu ist in den Meldegesetzen ausdrücklich festgelegt, aber nur die wenigsten wissen davon. Und nur wenige Städte weisen ihre Bürger auf diese Einspruchsmöglichkeit hin, wie etwa Berlin, wo die Meldebehörde bei jeder An- oder Ummeldung ein Ja oder Nein zur Datenübermittlung an Parteien erfragen muß.

Der Hamburger Datenschutzbeauftragte hat deshalb mit einer Öffentlichkeitskampagne eigens auf das Widerspruchsrecht hingewiesen. Die Zahl der Widersprüche stieg prompt sprunghaft von 900 auf 9.000 – angesichts von 1,2 Millionen Wahlberechtigen in Hamburg immer noch eine lächerlich geringe Zahl. Datenschützer fordern deshalb eine Art Umkehrung der Beweislast in den Meldegesetzen: Statt Widerspruch einlegen zu müssen, sollten die Bürger nach ihrem ausdrücklichen Einverständnis zum Datentransfer gefragt werden. Dann sähen die Parteien wahrscheinlich ziemlich blaß aus. Sie könnten sich dann zwar aus anderen Quellen bedienen: aus den Angeboten kommerzieller Adreßhändler etwa oder aus der CD-ROM der Telekom. Aber auf staatliche Wahlhilfe müßten sie verzichten. Vera Gaserow