Bayern bleibt bei Abtreibung hart

■ Das Bundesverfassungsgericht verhandelte über das bayerische Sonderrecht gegen spezialisierte Abtreibungskliniken. Urteil später

Karlsruhe (taz) – Sie würde dieses Gesetz auch heute nicht anders formulieren, bekannte Bayerns Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) gestern vor dem Bundesverfassungsgericht. Auf dem Prüfstand stand das bayerische „Schwangerenhilfe-Ergänzungsgesetz“, gegen das fünf Ärzte aus dem Freistaat Verfassungsbeschwerde eingelegt hatten. Erst seit dem Abtreibungskompromiß im Jahr 1992 sind auch in Bayern ambulante Schwangerschaftsabbrüche möglich. Bayern hat nun nachträglich und im Alleingang hohe Genehmigungshürden für solche Einrichtungen aufgestellt. Nur noch 25 Prozent ihrer Einnahmen dürfen bayerische Ärzte mit Abtreibungen verdienen. So soll den spezialisierten Abtreibungskliniken von Andreas Freudemann in Nürnberg und Friedrich Stapf in München – beide Kläger – der Garaus gemacht werden. Hier werden etwa 60 Prozent aller bayerischen Abtreibungen vorgenommen. Betroffen sind allerdings auch „Mischpraxen“ (siehe Artikel rechts).

Während sich die Ärzte auf ihr Grundrecht der Berufsfreiheit berufen, bestreitet Bayern, daß „Abtreibungsärzte“ überhaupt Grundrechte für sich in Anspruch nehmen können. „Abtreibungen sind unrecht“, betonte Bayerns Rechtsvertreter Peter Lerche und erinnerte an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Damals hatte der Zweite Senat klargestellt, daß Abtreibungen nach der Beratungslösung zwar „straflos“ bleiben könnten, aber an sich rechtswidrig seien. Auch die Teilnahme von Ärzten an solchen Abtreibungen werde nur „als notwendiges Übel“ geduldet. Für die Kläger entgegnete die Hamburger Professorin Sybille Raasch: „Wollen Sie etwa, daß Abtreibungen statt von hochqualifizierten Ärzten nur noch von Outlaws und Abenteurern durchgeführt werden?“ Punkten konnte Bayern dann aber bei der Frage nach der Gesetzeskompetenz. Die Kläger hatten bestritten, daß der Freistaat ein über das Bundesrecht hinausgehendes Gesetz erlassen dürfe. Allerdings fiel es ihnen schwer darzulegen, warum die Bundesregelung über Mindestanforderungen hinausgehen und eine abschließende Regelung treffen durfte. Der Zweite Senat hatte 1993 ausdrücklich von Mindestanforderungen gesprochen. In diese Diskussion schalteten sich auch die sehr engagierten Verfassungsrichter ein. Während der neue konservative Vizepräsident Hans-Jürgen Papier Bayern zu Hilfe kam, zeigte der liberale Jürgen Kühling den Klägern Wege aus ihrer argumentativen Klemme. Er gab zu bedenken, daß die Bundesregelung zwischen Drohung und Freiheit so „fein austariert“ sein könnte, daß jede landesrechtliche Abweichung dieses Gleichgewicht verletzen würde. Erst zum Schluß der Verhandlung wurde über das Gesetz an sich diskutiert. Hier ging es um die Frage, ob Bayerns Regelung nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstößt. Die Kläger halten die 25-Prozent-Regelung auch im Hinblick auf den „Lebensschutz“ für ungeeignet. Es gebe keine Indizien dafür, daß Frauen, die vor einem Abbruch zweifeln, von Spezialisten schlechter beraten werden als von Ärzten, die gelegentlich eine Abtreibung durchführen. Bayern hielt dagegen, daß bei Ärzten, die „Fließbandabtreibungen“ vornehmen, wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen könnten. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet. Christian Rath