Im besten Moment ein Film der kurzen Wege

Zwischen Besonnenheit und Aktionismus: Das 14. Internationale Hamburger Kurzfilmfestival bewegt sich im durchaus produktiven Widerspruch von Ökonomie und Trashkultur, Kommerz und Kommerzkritik. Da kommen auch „Trainspotting“ und Godard in eins  ■ Von Christian Buß

Besonnenheit und Aktionismus, Ökonomie und Trashkultur – das ist das Spannungsfeld, in dem sich das Internationale Hamburger Kurzfilmfestival inzwischen bewegt. Auf der einen Seite ist die Kinoschau zu einem inzwischen nicht unbeachtlichen wirtschaftlichen Apparat gewachsen. Verpflichtungen gegenüber Festangestellten muß ebenso nachgekommen werden wie denen Sponsoren gegenüber. Auf der anderen Seite will man seine Wurzeln im Underground nicht kappen. Eine Auszeichnung aus Hamburg soll Profis helfen, sich auf dem kommerziellen Kurzfilmmarkt zu behaupten, aber das kostenneutrale Home- Movie mit ästhetischem Mehrwert soll ebenfalls repräsentiert sein. Das ist ein Widerspruch, der manchmal recht amüsante Situationen zeitigt.

Zum Beispiel auf der Abschlußgala des sechstägigen Kinomarathons. Zuerst wurden da die Preise innerhalb des internationalen Wettbewerbs an jene Beiträge verteilt, die mit größerem Etat gedreht worden sind. Die Jury für diese Sparte, die sich sichtbar unwohl auf der hübsch aufgeputzten Bühne der Rockbude Docks fühlte, verwies noch einmal darauf, daß Objektivität bei der Bewertung natürlich unmöglich sei. Damit sich die dann aber doch irgendwie einstelle, wurde jede Entscheidung mit einer sachlichen Erklärung bedacht. Danach polterte die No-Budget-Jury auf die Bühne, eine Art Standgericht der Trashfilm-Szene. Darunter Gestalten wie der finnische Filmemacher, der viel trank, aber nichts sagte und sich auch sonst recht Kaurismäki- mäßig aufführte, und eine zappelige Video-Aktivistin, die schon mal überdreht ihre Texte runtersang. Grandiose Selbstdarsteller allesamt also, die kein Blatt vor den Mund nahmen. Wo denn der echte Trash geblieben sei, nörgelten sie drauflos, und wie man denn aus so einem Haufen Scheiß überhaupt einen würdigen Gewinner herausfischen solle. Schließlich steckte man die Auszeichnung Dagie Brundert für ihre „Schmetterlingsküsse“ zu – zwei Minuten Gagakino, bar jeden Anspruchs und superbillig.

Ja, die Gräben zwischen den verschiedenen Interessengruppen werden immer tiefer, aber die eine wird der anderen gegenüber nicht bevorteilt. Das Kurzfilmfestival ist inzwischen eine erstaunlich publikumswirksame Angelegenheit. In fünf Kinos gleichzeitig wurden die Programme gezeigt, und ausverkaufte Vorstellungen waren keine Seltenheit. Im Vergleich zu den Gesamtbesucherzahlen aber waren die No-Budget-Blöcke schlecht besucht, zum Teil saßen dort die Filmemacher unter sich. Trotzdem muß es den Veranstaltern angerechnet werden, daß fast so viele No-Budget-Arbeiten gezeigt wurden wie Produktionen im internationalen Wettbewerb. Was natürlich auch daran liegt, daß eine Super-8-Besessene wie Martha Colburn gleich zwei Handvoll Filme eingereicht hat. Dafür wurde sie von der launigen No- Budget-Jury mit einem schnell mal initiierten Spezialpreis bedacht.

Ganz zu Recht übrigens, denn die Amerikanerin demonstriert, wie man es denen mit Geld auch ohne zeigen kann. „Eat the rich“ könnte das Motto ihrer kirremachenden Collagen lauten, in denen „kurz“ nicht nur als Verweis auf die zeitliche Dimension gedeutet werden muß, sondern auch als Hinweis auf die Produktionsform. In seinen besten Momenten ist der Kurzfilm nämlich auch ein Film der kurzen Wege. Meint: Für alle verfügbares Bildmaterial wird unkompliziert angeeignet und ebenso unkompliziert verwurstet. So wie es eben Martha Colburn in ihren Kunstwerken aus audiovisuellem Müll tut; sie demoliert und dekonstruiert und rekontextualisiert. Hier funktioniert Trash als Sinnstiftungsmodell.

Martin Arnold ist ebenfalls ein Meister der Demontage. Auch wenn sein Beitrag „Alone. Life Wastes Andy Harvy“, der viel Beachtung und reichlich Lacher auf sich gezogen hat, den zweiten Preis im seriösen internationalen Wettbewerb einsacken konnte. Nach Art eines HipHop-Artisten sampelt und scratcht der Österreicher altes Celluloid. Der Mann ist ein Trickser, aber mit seinen Kunststückchen legt er lustvoll die Abgründe flacher Hollywood-Filme frei. Arnold segmentiert und repetitiert kunstvoll einzelne Sequenzen aus Schinken mit Mickey Rooney und Judy Garland, bis die Rührliesl Garland vor Erregung obszön vibriert. So verlieren Bilder ihre Unschuld – wenn sie denn je eine besessen haben.

Apropos: Nach Unschuld oder nach dem Charme des Unperfekten sucht man im internationalen Wettbewerb vergeblich. Das eint die Filmemacher, die ansonsten ganz unterschiedliche Strategien verfolgen. Während die einen einfach klassisches Erzählkino zeitlich komprimieren, forschen die anderen nach der spezifischen Narrativik des Genres. Denn nur wer den Kurzfilm als eigenes Genre behandelt, nimmt ihn auch ernst. Natürlich könnte man die Konjunktur prachtvoller Kleinproduktionen bejubeln, aber dabei würde man übersehen, daß viele Nachwuchsregisseure neuerdings nur aus einem einzigen Grund Kurz- statt Langfilme drehen: um ihre Visitenkarte für die Bewerbung beim großen Studio kostengünstiger zu erstellen. Der erzählerische Impuls spielt da eine unbedeutende Rolle.

Doch Vorsicht, echauffieren wir uns nicht zu sehr darüber, daß manche dieser Minispielfilme allzu marktorientiert daherkommen! Denn damit brächten wir uns selbst um ein großes Vergnügen, einige der Beiträge verblüffen mit erstaunlicher Technik. „Larger Than Life“ etwa. Die Neuseeländer haben ja schon in den letzten Jahren bei anderen einschlägigen Leistungsschauen bewiesen, daß sie vorbildlich ausgestattete Filmhochschulen haben müssen, und Ellory Elkayems Spinnenschocker stellt so was wie die state of the art des Horrorfilms dar. Der Score ist hervorragend, die Reihung von Special Effects atemberaubend. Die Tricks in Enda Hughes „Flying Saucer Rock 'n' Roll“ sind zwar weniger ausgefeilt, aber das muß so sein, da die nordirische Produktion all das persifliert, was die Fünfziger erträglich gemacht hat: fliegende Untertassen, Teenage Rebels und Autorennen (hier allerdings mit dem Trecker). Ganz im Geist von Tim Burton, selbstverständlich in Cinemascope. Wirklich komisch ist auch „I Just Want To Kiss You“ des Engländers Jamie Thraves, der nonchalant „Trainspotting“ und Godard zusammenbringt.

Da muß die Jury gelobt werden, die es sich nicht so einfach gemacht hat, einen dieser Beiträge zu prämieren. Es dürfte nicht allzu schwer fallen, diese Knaller ins Vorprogramm konventioneller Kinoproduktionen zu hieven. Das Internationale Hamburger Kurzfilmfestival aber bleibt eine Veranstaltung zwischen Kommerz und Kommerzkritik, und deshalb ist es – trotz des eher kläglichen Preisgeldes von 5.000 Mark – keine nebensächliche Entscheidung, wer am Ende gewinnt. Die Wahl von John Smith' „Blight“ – der freilich schon auf anderen Festivals abräumen konnte – ist dabei äußerst glücklich. Einerseits funktioniert das Werk als politisches Statement, andererseits wird hier die Dynamik des Kurzfilms voll ausgeschöpft. Musikalität und Melodram sind monströs in dieser experimentellen Etüde, die auf die Regeln des klassischen Erzählkinos nichts gibt – und trotzdem eine Geschichte erzählt. Von der Vertreibung und Entfremdung der Menschen durch Londons Stadtplaner nämlich. Ein guter Sieger auf einem Festival, bei dem in einer Retrospektive auch die Kurzfilmmütter und -väter von 68 honoriert wurden. Im 14. Jahr seines Bestehens floriert das Hamburger Kurzfilmfestival, ohne daß es sich ideologisch richtig verortet hätte. Produktive Widersprüche, wo man hinschaut: Überleben kann der Kurzfilm nur auf einem wie auch immer gearteten Markt – zu Leben erwacht er aber vor allem in der Opposition.