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Das Experiment: Professionalität

Wider die Trennung von Theorie und Praxis: Das Festival „TheaterStudien 98“ präsentiert studentische Bühnen-Avantgarde von Rio bis Gießen zum 50. Geburtstag der Freien Universität  ■ Von Eva Behrendt

TheaterStudien – was hat man sich darunter vorzustellen? Geistreiche Kulturskizzen, aufs Papier geworfen von bleichen Bücherwürmern, die mit Stift und Block im Theater sitzen? Das Treiben eines Seminars voller Jungbohemiens in schwarzen Rollkragenpullovern, die sich über Kleists Marionettengleichnis ereifern? Oder eine Art Bühnenlabor, in dem verschiedene Theaterformen kategorisch durchexerziert und auf ihre Tauglichkeit hin empirisch getestet werden? – Nichts und dennoch einen Hauch von alledem.

Tatsächlich ist „TheaterStudien 98“ der Titel eines internationalen Festivals, mit dem das Institut für Theaterwissenschaft an der Freien Universität den Sprung auf die Bühne wagt – nicht unbedingt leibhaftig, aber doch organisatorisch und konzeptionell. Eingeladen wurden dazu fünf studentische Theaterprojekte aus New York, Rio de Janeiro, Toronto, Brüssel und Gießen, die sich ab heute zehn Tage lang im Theater am Halleschen Ufer präsentieren werden.

Bemerkenswert ist, daß die teilnehmenden Inszenierungen ausnahmslos aus theaterpraktisch orientierten Ausbildungsgängen hervorgegangen sind, auch wenn es sich nicht immer um Schauspielschulen im klassischen Sinn handelt. Fast alle stellen zugleich die Abschlußarbeit eines Jahrgangs oder einzelner Studierender dar, und häufig haben erfahrene Regisseure die Leitung der Projekte übernommen. Insofern rangieren die Festival-Beiträge auf der Schwelle zwischen Professionalität und schulischem Experiment.

Avantgarde jenseits des Laienspiels

Seit Anfang des Jahres haben die Organisatorinnen Bettina Masuch und Swantje Neumann Inszenierungen von Partneruniversitäten der FU gesucht und gesichtet. „Wir wollten studentisches Theater aus verschiedenen Ländern und kulturellen Kontexten nach Berlin holen, in dem neue und ungewöhnliche ästhetische Kriterien entwickelt werden“, erklärt Bettina Masuch, die selbst Theaterwissenschaftsabsolventin der Uni Gießen ist und ab August dieses Jahres Dramaturgin an der Volksbühne. Studententheater als experimentelles Feld und potentielle Avantgarde jenseits des Laienspiels – das ist hierzulande schon aus strukturellen Gründen eher eine Seltenheit, zumal die rigide Trennung von Theorie und Praxis ein genuin deutsches Phänomen zu sein scheint. Eine Ausnahme bildet bloß das Gießener Institut für angewandte Theaterwissenschaft.

Der Charakter und das Charisma eines Experiments haftet nun allerdings dem Festival selbst an, da „TheaterStudien“ zum ersten Mal stattfindet. Angeregt wurde es anläßlich des 50. Geburtstages der FU von der Universitätsleitung, die auch den Löwenanteil der Festivalkosten übernommen hat. Als Veranstaltungsort wurde der Botanische Garten zwischen Dahlem und Steglitz vorgeschlagen. Für Bettina Masuch und Swantje Neumann stand jedoch fest, daß „TheaterStudien“ in die Stadt und auf eine professionell ausgestattete Bühne gehört: ins Theater am Halleschen Ufer, ein Ort, an dem Jürgen Schitthelm, Klaus Weiffenbach und andere FU-Studenten 1962 auch die Schaubühne gründeten.

Dort wird heute abend die New Yorker Columbia University (School of the Arts) zur Eröffnung des Festivals Brechts „Caucasian Chalk Circle“ in einer volkstheaterhaften, musikalischen Inszenierung präsentieren. Andrei Serban und Nicolaus Wolcz – Professoren und Regisseure in Personalunion – geht es um neue Impulse in der Auseinandersetzung mit Brechts Theaterverständnis in der postkommunistischen Ära. Mit „Raised in Captivity“ von Nicky Silver setzt die York University Toronto auf Zeitgenössisches. Die Stücke des 37jährigen US-Dramatikers zeichnen und überzeichnen Szenarien amerikanischer Gesellschaftsparanoia. Damit treffen sie durchaus auch einen deutschen Nerv, wie beispielweise Thomas Ostermeiers Publikumsrenner „Fette Männer im Rock“ in der DT-Baracke gezeigt hat.

Aus Rio bringt die Escola de Arte Dramatica Theaterpoetisches nach Berlin: Unter der Leitung des brasilianischen Regisseurs William Pereira übersetzen Studierende Fernando Pessoas schwermütig reflektierendes „Buch der Unruhe“ in eine szenische Sprache. Das aus heterogenen literarischen Elementen montierte Werk des Portugiesen entstand zwischen 1913 und 1934 und wurde nach seiner posthumen Veröffentlichung Anfang der 80er Jahre als extrem moderner Text gefeiert. Mit „Elea: Sphingein. Pièce de chambre“ und „Less than a moment“ zeigt die Brüsseler Tanzschule P.A.R.T.S. Choreographien über zwei geisteswissenschaftliche Lieblingssujets, „Erinnerung“ und „Begehren“. Die Performing Arts Research and Training Studios sind eine noch sehr junge Ausbildungsstätte: Sie wurden erst vor drei Jahren von der Choreographin Anne Teresa de Keersmaeker gegründet. Und schließlich bietet das in Berlin spätestens seit ihrer Show „Trust!“ bei dem Reich-&-berühmt-Festival im Podewil bekannt gewordene Gießener Trio She She Pop mit „Things That I Used To Do“ Trash-Performance at its best, wobei ironisch die Strapazen und Lüste rund um den Studienabschluß als Selbstinszenierung thematisiert werden.

Kritik oder Ahnungslosigkeit

„Theaterwissenschaft nur zu studieren, ohne selbst Theater zu spielen, wäre vermutlich eine sterile, wenn nicht gänzlich undenkbare Angelegenheit“, schreibt Werner Väth, Vizepräsident der Freien Universität, in einem Grußwort zu „TheaterStudien“. Kritik oder Ahnungslosigkeit? Am FU- Institut für Theaterwissenschaft sind die Studierenden mit philosophischen und kulturgeschichtlichen Theorien oder der wissenschaftlichen Aufführungsanalyse in der Regel weitaus vertrauter als mit den Problemen und Freuden praktischer Theaterproduktion. Wer hier wissen will, worüber er sich eigentlich den Kopf zerbricht, muß selbst die Initiative ergreifen, sich einer Theatergruppe anschließen oder um Hospitanzen bemühen. Im offiziellen Studienplan ist Theaterpraxis jedenfalls nicht vorgesehen. Insofern ist es schade, daß eine Inszenierung der FU-Studiobühne fehlt, die an das Institut einerseits angeschlossen, aber in Ermangelung institutseigener Räumlichkeiten andererseits aber ausgelagert ist. Immerhin brachte es die Studiobühne im vergangenen Jahr auf fünf verschiedene Produktionen und plant für den Juli ein zweisprachiges Projekt zu Gertrude Steins „Doctor Faustus Lights The Lights“. Ihre Teilnahme an „TheaterStudien“ aber scheiterte an Terminproblemen.

Weil bei „TheaterStudien“ zum Spiel auch Theorie und zur Darstellung die Analyse gehören, findet im Anschluß an jede Aufführung ein öffentliches Theatergespräch statt, das jeweils Regisseure, Mitwirkende und Dozentinnen der FU leiten werden. Zusätzlich sind Vorträge und „Theorie- Performances“ geplant.

„TheaterStudien 98“ vom 26.6. bis 4.7. im Theater am Halleschen Ufer 32, Infos unter 251 09 41 (oder http://www.zedat.fu-berlin.de/ theaterwissenschaft)

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