Gebührenchaos beim Abwasser

Viele kommunale Wasserentsorger in Ostdeutschland haben sich schon bei ihrer Gründung verspekuliert. Den Gemeinden droht der finanzielle Kollaps  ■  Von Christoph Villinger

Berlin (taz) – Da könne man nur noch drüber staunen, heißt es bei Familie Bauer in Niederfinow bei Eberswalde. Der Gebührenbescheid, den ihr der Zweckverband für Wasserversorgung und Abwasserentsorgung (ZWA) Eberswalde ins Haus schickte, beläuft sich auf 4.000 Mark Anschlußkosten. Dazu die Ankündigung, daß demnächst weitere 7,50 Mark Erschließungskosten pro Quadratmeter fällig werden. Bei einer Durchschnittsgröße der Grundstücke in Brandenburg von etwa 2.000 Quadratmetern macht das nochmals 15.000 Mark. Der Gesamtwert des Grundstücks dürfte nicht einmal 50.000 Mark betragen.

Wie dieses Mißverhältnis zustande kommt, ist nicht nur den Bauers schleierhaft. Wie allen anderen AnschlußnehmerInnen der ZWA in den Dörfern rund um Eberswalde war ihnen im Jahr 1993 der kostenlose Anschluß schriftlich zugesichert worden. Auf eilig einberufenen Dorfversammlungen wird nun zum Boykott dieser Zahlungen aufgefordert. Und die seit Jahren gegen überhöhte Abwassergebühren kämpfende Bürgerinitiative Kommunale Abgaben Barnim (BKB) bekam weiteren Zulauf.

Der in etwa der Hälfte der Brandenburger Landkreise auftretende Konflikt wird nun vor Gericht ausgetragen. Als offene Flanke der ZWAs erweist sich ihre oft chaotische Gründung in den Jahren nach der Wende. Das Oberverwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hat in einem Urteil bereits festgestellt, daß der Wasser- und Abwasserverband Elsterwerda im Süden des Landes nicht rechtmäßig gegründet wurde und damit als öffentlich-rechtliche Institution nicht existiert. Mit der gleichen Begründung könnten etwa die Hälfte der 83 ZWAs im Land als ebenfalls nicht rechtmäßig gegründet gelten. Damit seien, so hofft zumindest Madeja, Mitarbeiter der BKB, auch sämtliche Gebührenbescheide dieser ZWAs „nichtig“.

Das Brandenburger Innenministerium rät den ZWAs in einem Runderlaß, sich „prophylaktisch neu zu gründen“. Der Potsdamer Landtag verabschiedete ein „zweites Heilungsgesetz“ für die ZWAs. Doch genau dies verhindert, daß es zu einer von vielen Betroffenen geforderten Entschuldung der Zweckverbände und einem Kapitalschnitt kommt.

In vielen Landkreisen Brandenburgs wurden in den Jahren nach der Wende die Abwasseranlagen überdimensioniert ausgebaut. So spekulierte man für den Großraum Eberswalde 1991 noch auf 400.000 künftige BewohnerInnen, real sind es heute knapp 80.000. Die entsprechenden Kredite waren anscheinend kein Problem. Da alle Beteiligten gut daran verdienten, wurde die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung von „Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit“ nicht immer beachtet. „Für alle bis Ende 1993 errichteten Gebäude“ wurde der kostenlose Anschluß versprochen. Für das Verlegen eines halben Meter Rohres als Hausanschluß verlangt die ZWA Eberswalde nun 392 Mark. Die gleiche Leistung war für einen privaten Auftraggeber damals für 147 Mark erhältlich.

Der Versuch, die realen Kosten von etwa 30 Mark pro Kubikmeter über den Verbrauch umzulegen, hat sich als gegen den heftigen Widerstand der BürgerInnen nicht durchsetzbar erwiesen. Nach Intervention der Potsdamer Landesregierung wurde schließlich der politische Preis von zehn Mark pro Kubikmeter festgelegt. Ein weiterer Teil wird aus den Gemeindehaushalten finanziert.

Dies ist einer der Gründe, warum im Nordosten Brandenburgs ganze Gemeinden vor dem finanziellen Kollaps stehen. Im gesamten Brandenburg betragen die Schulden der ZWAs 2,5 Milliarden Mark. Allein im Bereich der ZWA Eberswalde lagen die Schulden nach dem ersten Quartal 1998 bei 322 Millionen Mark.