: Friedenspreis für Lebed
In Tschetschenien beendete General Lebed einen Krieg. Preisverleihung ohne hessische Minister ■ Aus Wiesbaden Klaus-Peter Klingelschmitt
Wie als Demokrat einen General aus Rußland begrüßen und würdigen, der von sich selbst behauptet, ein „Halbdemokrat“ zu sein? Ganz oder gar nicht! Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) und Landtagspräsident Klaus Peter Möller (CDU) empfingen den Träger des Hessischen Friedenspreises 1998, den russischen General Alexander Ivanowitsch Lebed, gestern im Landtag „ganz“. „Gar nicht“ kamen neun von zehn MinisterInnen aus dem Kabinett Eichel ins barocke Ambiente. Auch die Fraktionsvorsitzenden des Landtags boykottierten die Preisverleihung, bei der es nur einen Mißton gab: Eine Violine geriet bei dem Versuch, Schostakowitsch zu intonieren, auf Abwege.
Lebed sei noch immer ein „Komißkopf“, der die Frage nach seinem Vorbild wie aus der Pistole geschossen mit „Augusto Pinochet“ – Faschist und Exdiktator von Chile – beantwortet habe, sagte der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Landtag, Alexander Müller. Er habe daher „erhebliche Zweifel an der demokratischen Gesinnung“ von Lebed. Frieden und Demokratie aber seien „untrennbare Begriffe“, dozierte er. Und deshalb habe Lebed den Hessischen Friedenspreis „nicht verdient“. Ähnlich hatte sich zuvor der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Armin Clauss, geäußert. Er werde an keiner Veranstaltung teilnehmen, bei der ein Mann geehrt werde, der gestehe, nicht gerade ein glühender Demokrat zu sein.
Doch beim Preisschießen hat Lebed die mit 50.000 Mark dotierte Auszeichnung nicht gewonnen. Das Kuratorium der auslobenden Albert Osswald Stiftung, dem – neben anderen – Egon Bahr und der hessische Finanzminister Karl Starzacher angehören, hat ihm den Preis für seinen „friedenstiftenden Einsatz“ (Bahr) im mörderischen Krieg in Tschetschenien zuerkannt. Sein Gewehr heiße heute „menschliche Vernunft“, hatte Lebed schon am Mittwoch bei einer „Präsentation“ durch die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) beteuert. Es sei dieses „Gewehr“ gewesen, das ihn dazu gebracht habe, den Krieg in Tschetschenien zu beenden.
Was sich dort nach dem Einmarsch der russischen Armee abgespielt habe, sei „mit den Regeln der Kriegskunst“ nicht zu vereinbaren gewesen. „Das war totaler Krieg, mit 80.000 Toten.“ Aber ist der General Lebed, der Afghanistankämpfer, tatsächlich zum Pazifismus konvertiert? Man dürfe ihn nicht des Pazifismus „beschuldigen“, sagte Lebed. Aber „sinnlose Kriege“ seien zu beenden. „Ich habe den Krieg erlebt, ich habe Berge von Toten und Verstümmelten gesehen. Und alles, was ich gesehen und erlebt habe, hat aus mir einen überzeugten Kriegsgegner gemacht.“
Und wie hält es Lebed denn nun wirklich mit der Demokratie? Ich bin General, so Lebed, und nicht liberal. „In zwei Generationen“ werde es in Rußland vielleicht Demokratie geben. Heute hingegen gelte der Grundsatz: „Die Macht wird einem nicht vom Volke verliehen; die Macht muß man sich nehmen.“ Ob Hans Eichel bei seiner Begrüßung deshalb mahnend den (verbalen) Zeigefinger hob, daß „der Frieden ist dort am sichersten ist, wo Demokratie herrscht“? Lebed lächelte in sich hinein – und überging Eichels leisen Tadel souverän, indem er publikumswirksam forderte: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag müsse „sich jetzt dringend mit der Verantwortung der Politiker und der Militärs für den Krieg in Tschetschenien beschäftigen“.
In seiner Laudatio würdigte der Friedenspolitiker Egon Bahr Lebeds Wandlung „vom Soldaten zum Gründer der Russischen Volksrepublikanischen Partei und zum Gouverneur“. Und Bahr ist sich sicher: „Das war nur eine Zwischenbilanz.“ Lebed wisse, daß in ganz Rußland zunächst die nationale Würde wiederhergestellt werden müsse, um eine „lichte Zukunft“ aufbauen zu können. Kommentar Seite 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen