„Bin ich das nächste Mal dabei?“

Vor dem WM-Achtelfinale Deutschland gegen Mexiko stellen sich zwei Fragen: Ist Olaf Thon bereits der WM-Verlierer? Ist Lothar Matthäus schon der WM-Gewinner?  ■ Aus Montpellier Peter Unfried

Olaf Thon fragte: „Was wollen Sie wissen?“ Hm: Natürlich, wie er mit seiner Auswechslung umgeht. Aber so direkt mag man das ja nicht fragen, insbesondere wenn den Mann eine dermaßen melancholische Aura umgibt. Gut, daß Thon da sagte: „Sie wollen bestimmt wissen, wie ich mit meiner Auswechslung umgehe.“ Das erzählte er dann freundlich gefaßt. „Akzeptieren“ war das meistgebrauchte Wort, zu dem er einmal „müssen“, das andere Mal „versuchen“ stellte.

Natürlich: Das „entscheidende Ziel“ hat man „ja erreicht“ mit dem 2:0 über den Iran, Gruppensieg und WM-Achtelfinale gegen Mexiko am kommenden Montag. Die „entscheidende Frage“ aber sei: „Warum hat er mich ausgewechselt?“ DFB-Trainer Berti Vogts hat auf die Frage seit Donnerstag mehrfach geantwortet. Die Gefahr durch die „schnellen Konter“ der Iraner habe eine „neue Ordnung“ nötig gemacht. Um der zu begegnen, brachte Dietmar Hamann im zentralen Mittelfeld läuferische Qualitäten ein.

Warum, oh Vogts, mußte deshalb der Libero Thon raus? Ganz einfach: „Olaf ist ein Libero.“ Wer nun verwirrt ist, dem geht es wie Thon. Nach längerem Nachdenken bietet sich eine mögliche Antwort an: Matthäus kann nicht soviel wegrennen, wie das im Mittelfeld nötig wäre. „Selbst Lothar kann nicht permanent im Mittelfeld spielen“, heißt das bei Vogts. Je heftiger er Personal und Prinzipien durcheinanderwirbelt, desto stärker fürchtet er aber, er komme nicht ohne die kreativen und ordnenden Restqualitäten des ehemaligen Kapitäns aus. Daraus folgt: Thon mußte ins Gras von Montpellier beißen.

Kommt es also einem Weltuntergang gleich, wenn man zur Halbzeit ausgewechselt wird? Natürlich. Erstens sowieso. Zweitens insbesondere, wenn man eben noch als unumstrittener Leistungsträger eine gelungene Karriere- Pointe in Sichtweite hatte. Drittens: Muß es einen wahnsinnig machen, wenn man nach einem Jahrzehnt im Schatten eines Übermächtigen glaubt, ihn endlich in der Kiste zu haben, und dann drückt einer auf den Knopf, und er hüpft doch wieder raus.

Der Wert eines Fußballers ist nie absolut – er wird immer bestimmt durch die aktuelle Gemütsverfassung des Trainers. Eine WM ist Leben im Zeitraffer. Thon versucht sich damit zu trösten, das sei auch „einem Möller, einem Häßler passiert, einem Ziege...“ Die kämen „ja alle irgendwann wieder rein“. Das stimmt – und stimmt nicht. Thon hatte ein langfristiges Konzept, mit dessen Hilfe er sich auf und neben dem Spielfeld positioniert hatte. Nun muß er sich fragen, ob er mit seiner Diplomatie am Ende dasteht wie Chamberlain. Ob er sich nicht weniger dialektisch und dafür darwinistischer hätte inszenieren müssen. Nun hat er zwar als erster der verbal gleichgeschalteten DFB-Fußballer Subjektivität betont, doch aus einer geschwächten Position: „Bin ich das nächste Mal dabei – oder nicht?“ Das ist die Frage, die er sich stellt. „Das ist“, sagt Thon versonnen, „ja eigentlich das Wichtigste.“