„Berberischer Michael Jackson“

■ Die rebellische Stimme Algeriens ist verstummt. Der Sänger Matoub Lounes wurde von militanten Islamisten kaltblütig ermordet

Orientalische Gitarrenklänge, eine klare Stimme, lange, vibrierende Silben, das war die Musik des algerischen Protestsängers Matoub Lounes. Am Donnerstag ist sie für immer verstummt. Um 12.40 Uhr fuhr er kurz vor seinem Heimatdorf Beni Douala, im Herzen der Berberregion, in eine Verkehrskontrolle. Matoub wurde kaltblütig erschossen. Die vermeintlichen Soldaten waren verkleidete, militante Islamisten.

Lounes wußte um die akute Gefährdung seines Lebens, sang er doch wie kein anderer gegen den Islamismus an, und das auch noch in der Sprache der Berberminderheit, dem Tamazight. Ein religiöser Staat galt ihm „als die algerische Form des Faschismus“, das Arabisch als Kolonialsprache. Trotzdem verbrachte er seit einigen Monaten immer mehr Zeit in den Bergen 100 Kilometer westlich von Algier. Im französischen Exil war er nie heimisch geworden, obwohl er dort ebenso problemlos große Konzerthallen füllte wie zu Hause. Überall in der Gegend wußten die Menschen, ob der „berberische Michael Jackson“, wie sie ihn scherzhaft nannten, im großen Haus gleich an der Hauptstraße von Beni Douala anzutreffen war oder nicht. Seine Tür stand für Gäste immer offen. So auch für uns, als wir ihn im Februar ohne Vorankündigung besuchten. Trotz einer Grippe, die sein hageres, unrasiertes Gesicht noch länger wirken ließ, standen er und seine Frau bereitwillig Rede und Antwort. Seine Frau liegt jetzt mit Schußverletzungen im Krankenhaus in der Provinzhauptstadt Tizi Ouzou.

„Um meinen Leuten Mut zu machen“, war Matoub zurückgekommen. Er fühlte sich den Menschen in der Kabylei zutiefst verbunden, hatten sie ihm doch das Leben gerettet, als er 1994 von Islamisten entführt worden war. Die Menschen gingen auf die Straße und drohten: Sollte ihrem Sänger etwas passieren, würden die islamistischen Familien in der Region dafür büßen. 16 Tage später kam Matoub Lounes wieder frei. Die Kabylei gilt seither als die Hochburg gegen religiösen Wahnsinn.

In Beni Douala fühlte Matoub sich sicher. Wie überall in der Kabylei patrouilliert dort ein Selbstverteidigungskomitee. Er war sich aber auch der Gefahr bewußt, die ihn außerhalb der schützenden Dorfgemeinschaft erwarten könnte. Er fuhr nie unbewaffnet übers Land, denn „ich muß mir selber helfen, der Staat schützt mich nicht“. Wenn er dies sagte, kam das Gespräch unweigerlich auf seine Verhaftung im Oktober 1988, während der Jugendunruhen, die das Einheitssystem der FLN endgültig zum Einstürzen brachten. Auf dem Kommissariat verpaßten ihm die Gendarme fünf Kugeln. Er überlebte nur „durch ein Wunder“. Die Regierung in Algier führte den Sänger schon lange ganz oben auf der Liste der Staatsfeinde. Er gehörte zu den Mitbegründern der Bewegung für die Berberkultur (MCB), die für die offizielle Anerkennung des Tamazight eintritt. Als sich im Frühjahr 1980 die Kabylei erhob, lieh Matoub dem „Berberfrühling“ seine Stimme. Später trat er der Berberpartei Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD) bei.

Trotz des Mißtrauens gegenüber der Macht galten ihm die Generäle in Algier als Schutzschild gegenüber den Islamisten. „Lieber eine korrupte Macht als autoritärer Fanatismus“, faßte er den Widerspruch in Worte, der ihn seit dem Beginn der Krise 1992 plagte. Mit den Mächtigen hatte er dennoch wenig gemein. Sein Rezept, „die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, um den Islamisten den Nährboden zu entziehen“, klang so einfach und doch so utopisch in einem Land, in dem alles liberalisiert, privatisiert oder geschlossen wird. Matoub warnte unermüdlich vor den Regierungsplänen, Algerien vollständig zu arabisieren und damit nicht nur das Französisch aus dem öffentlichen Leben und den Medien zu verdrängen, sondern auch das Tamazight. Und wenn der Sänger von einem „laizistischen Algerien“ träumte, dann war da auch kein Platz für die Regierungspolitik. Das Familiengesetz, das die Frauen vollständig entmündigt, und die gemäßigt-islamistischen Minister im Kabinett waren für Matoub nur zwei Beweise dafür, daß ein wirklich demokratisches Algerien, unter vollständiger Trennung von Staat und Religion, von den Machthabern nicht zu erwarten ist. Lounes sang bis zuletzt gegen dieses Labyrinth aus Widerspüchen an, dessen Gegner und Gefangener er zugleich war. Vorgestern erstickte dieses Dickicht, das Tag für Tag neue Gewalt hervorbringt, seine Stimme für immer. Reiner Wandler