■ Das Beispiel Tostedt
: Mit Bioenergetik gegen Neonazis und Skinheads

Manchmal möchte Bernd Rutkowski den ganzen Krempel am liebsten hinwerfen. Rutkowski betreut mit zwei KollegInnen in der Nordheide-Kleinstadt Tostedt etwa 30 rechtsorientierte und gewaltbereite junge Männer, zumeist Skinheads. Auftraggeber ist der Kreis Harburg, Träger des Angebots die RESO-Fabrik des Straffälligenhilfe-Vereins. Es gibt einen betreuten Treffpunkt in Tostedt, eine Sommer-Kneipe im benachbarten Handeloh und Sportangebote.

In Tostedt, einem norddeutschen Zentrum der Neonazis, sieht sich diese Form akzeptierender Jugendarbeit heftiger Kritik vor allem von der Antifa-Szene und einer Eltern-Initiative ausgesetzt. Seit am 19. April eine junge Frau der Menschenrechtsgruppe „prison watch international“ (pwi) zusammengeschlagen worden ist, müssen sich die MitarbeiterInnen der RESO-Fabrik erneut vor Medien, Gremien und besorgten BürgerInnen rechtfertigen. Wieder einmal wird die Schließung des Treffs gefordert.

Aber was kann akzeptierende Jugendarbeit überhaupt erreichen, was nicht? Die politische Einstellung zu ändern, „das schafft man meist nicht“, sagt Rutkowski. Auch die Gewalt „kriegt man nicht weg“, aber man könne „deeskalierend“ wirken. So entschieden die Skins jüngst nach langer Diskussion im Beisein der SozialarbeiterInnen, nicht an einer Debatte im Tostedter Jugendzentrum teilzunehmen. Das sei in der aufgeschaukelten Stimmung vielleicht keine gute Idee, fanden sie schließlich. „Aber diesen Einfluß haben wir nur im Treffpunkt, der Privatbereich ist außen vor, da darf man sich nichts vormachen“, sagt Rutkowski.

Der Hauptkritikpunkt lautet, die Sozialarbeit stärke die rechte Szene. Unter den Augen der SozialarbeiterInnen indoktrinierten Kader noch unorganisierte Jungglatzen. Selbst der führende Kopf Sascha B., der zum Beispiel auf der Rechten-Demo in Lübeck neben extremistischer Bundesprominenz gesehen worden sei, werde im Treff geduldet.

Bernd Rutkowski bestätigt, daß bestimmte Leitfiguren in der Tostedter Skinheadszene Kontakte knüpften zu Christian Worch und anderen Neonazi-Größen. Immer wieder diskutiere man deswegen, Leitfiguren auszuschließen. Sascha B., 29 und mit Job übrigens, habe früher der FAP angehört, zeitweise auch der NPD. „Aber den kann man nicht ausschließen, wenn man die Szene dahaben will“, sagen die SozialarbeiterInnen. Nur durch Einbindung der Leitfiguren habe man mehrfach drohende gewalttätige Auseinandersetzungen abwenden können.

Schließlich hielten sich auch die Gruppenführer an die Regeln im Treffpunkt: Bestimmte CDs dürfen nicht aufgelegt werden, etwa die „Zillertaler Türkenjäger“, rechte Publikationen dürfen nicht verbreitet werden, Hakenkreuz- und Reichskriegsflagge sind sowieso verboten, selbst eintätowierte Hakenkreuze müssen verdeckt werden.

Die sogenannten „Kader“ oder „Altglatzen“ ideologisch beinflussen zu wollen, sei unrealistisch und deshalb auch nicht Ziel der Arbeit. „Aber wir fühlen uns zuständig für diejenigen Jugendlichen, die noch nicht gefestigt und daher beeinflußbar sind.“ Und diese Skinheads seien keinesfalls per se unverbesserliche „Faschos“. Rassistische Äußerungen entsprängen häufig weniger einer durchgängig rechten Haltung als vielmehr dem Wunsch zu provozieren, schreibt die RESO-Fabrik in einem Verteidigungspapier. Der Hitlergruß sei zwar unerträglich und nicht tolerierbar, Ausgrenzung der Jugendlichen helfe aber nicht weiter.

Die SozialarbeiterInnen versuchen es dagegen zum Beispiel mit Kraftsport. „Uns geht's natürlich nicht darum, die Muskeln zu stählen, die eh schon gestählt sind“, sagt Bernd Rutkowski. Der Sport sei eher ein Vehikel, um einen anderen Zugang zu den jungen Männer als nur über die verbale Ebene zu erhalten. Besonders Kraftsport könne ein gutes Medium sein, um zum Beispiel über vorgeschaltete Atem- oder Bioenergetik-übungen die Körperwahrnehmung zu sensibilisieren. „Wer sich darauf einläßt, wird feststellen, daß Kraft und Stärke einen ganz anderen Ursprung haben und nicht von Muskelpaketen herrühren.“

Verwirrend für martialisch auftretende Skins seien vor allem bioenergetische Übungen: „Da fängt man an zu vibrieren, ohne daß man einen Einfluß darauf hat“, erzählt der Sozialarbeiter. „Das bricht Distanzen auf, gegenüber sich selbst und gegenüber uns. Da werden sie neugierig, fangen an zu relativieren, halten nicht mehr so an Einstellungen fest.“ cis