■ Kommentar
: CDU auf Homotrip?

Etwas beklommen war uns ja, als am Freitag die Meldung bekanntwurde, daß die Berliner CDU-Abgeordneten eine Bundesratsinitiative unterstützen würden, nach der Homosexuelle rechtlich Heterosexuellen gleichgestellt werden sollen. Und dann noch die Christopher-Street-Demo am Tag darauf: Soooo viele Männer und Frauen, die unkostümiert mitgingen. Einfach so. Als kostete es sie keine Überwindung, die Parade vom Ku'damm durch das Brandenburger Tor zum Bebelplatz mitzumachen. Alle waren aufgeräumtester Stimmung, spazierten und tranken, trippelten und huschten, marschierten und küßten. Jedenfalls: Hatten wir mit Befreiung – etwa von Zwangsheterosexualität, von der Diktatur der Normalität, vom Sexismus überhaupt – nicht etwas anderes im Sinn?

Wundert es jemand überhaupt, daß man da melancholisch wird? Vor anderthalb Jahrzehnten, als wir noch als verlorenes Dissidentenhäuflein paradierten, stolz darauf, nicht zu sein wie die anderen, da hatte man noch Feinde. Böse Menschen, die vom Rande „Schokoladenficker“ gifteten und an die KZs erinnerten, in die man uns früher eingesperrt hätte, was ja heute nicht mehr ginge, ein „leider“ im Ton mitschwingend. Oder Ignoranten, üble Schaulustige, die unsere Fummel als Fotofutter verbrauchten.

Schöne Jahre, verloren gegangene Jahre. Jetzt umarmt uns auch noch die CDU. Die Partei also, die wir am spießigsten fanden. Mit der wären wir nie ins politische Bett gegangen. Jetzt will sie sich vorsichtig, sehr auf weitere Sittsamkeit bedacht, trotzdem sehr dreist, einfach zu uns ins gemachte Nest setzen. Sich anschmiegen, auf Tuchfühlung sozusagen. Dabei hatten wir doch schon mit der SPD Schwierigkeiten, damals, in den frühen Achtzigern. Wer hat uns verraten?

Sind wir denn also jetzt schon reif, von den Diepgens dieser Stadt als Wählerreservoir wahrgenommen zu werden? So wie andere konservative Bürgermeister anderer europäischer Metropolen es seit längerem tun? Offenbar. Ohne als Spielverderber zu gelten: Dürfen wenigstens ein paar Tränen geweint werden, daß wir keine ausgegrenzte Minderheit mehr sind – und wir der Feinde verlustig gehen? Jan Feddersen