Erst waren es nur ein paar kopierte Seiten über Chile

■ Die „Lateinamerika-Nachrichten“ wurden 25: Vom Soli-Heft zur angesehenen Fachzeitschrift

Das Fest war so ausdauernd wie die Zeitschrift. Von Samstag nachmittag bis in die späte Nacht feierten die Lateinamerika Nachrichten ihren Fünfundzwanzigsten mit Hunderten Gästen und munterem Kulturprogramm. Das Achtelfinalspiel zwischen Brasilien und Chile ließ die passende Woge lateinamerikanischer Solidarität in den Mehringhof in Berlin-Kreuzberg schwappen. Dabei gingen die Anhänger Chiles, dem Spielverlauf entsprechend, gegenüber den Brasilien-Fans gnadenlos unter.

Bei der WM 1974 war das noch anders. Ein Jahr nach dem Pinochet-Putsch stand Chile im Zentrum der Aufmerksamkeit der Fußballfans und der Dritte-Welt- Solidaritätsbewegung. Es gehört zum Gründungsmythos der Lateinamerika Nachrichten, wie beim Spiel Chile–Australien auf dem Spielfeld im Berliner Olympiastadion eine große chilenische Flagge erschien: Chile S¡ – Junta No! „Wir waren in allen Fernsehern der Welt zu sehen – vor allem in Chile unter der Diktatur“, erinnert sich ein Betiligter. Aus dem Kreis, der solche Aktionen plante, waren die Chile-Nachrichten – wie sie anfangs hießen – entstanden.

Es begann mit 50 hektographierten Blättern zur Unterstützung der demokratischen Regierung Allende. Der Putsch 1973 ließ die Auflage auf 6.000 schnellen. Versuche maoistischer Gruppen oder von Anhängern revolutionärer Strömungen in Chile, das Blatt auf Linie zu bringen, wurden abgewehrt. Die Redaktion bewahrte sich die Offenheit für heftige politische Diskussionen und formierte sich ständig neu – wohl ein Grund, warum es sie bis heute gibt.

Spätestens nach dem Putsch in Argentinien 1976 war klar, daß Chile kein Einzelfall von Militärherrschaft und ultraliberaler Wirtschaftspolitik war. Ab 1977 dehnte die Zeitschrift ihre Berichte auf den ganzen Subkontinent aus und nannte sich Lateinamerika Nachrichten. Ab 1979 standen die Solidaritätsbewegungen mit Nicaragua und El Salvador im Mittelpunkt des Hefts. Mittlerweile ist eine angesehene Fachzeitschrift daraus geworden. Sie erscheint monatlich in einer Auflage von 2.000 Exemplaren mit fundierten Analysen über Wirtschaft, Politik und Kultur in Lateinamerika, wie sie in Tages- und Wochenzeitungen nicht zu finden sind. Immer noch gilt der Anspruch, Gegenöffentlichkeit herzustellen: über Menschenrechtsverletzungen zu berichten, über die Auswirkungen neoliberaler Politik und vor allem über den lateinamerikanischen Blick auf die Welt. Zu Wort kommen einheimische PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, AktivistInnen sozialer Bewegungen und auch die Frau oder der Mann von der Straße.

Daß ein solches Blatt sich auch nach dem Abflauen der Dritte- Welt-Solidaritätsbewegung – und dem Verschwinden von klaren Feindbildern oder Identifikationsmöglichkeiten – sogar finanziell halten kann, liegt an der ungeheuren Zahl ehrenamtlicher MitstreiterInnen und ihrer Mischung aus Traditionspflege und immer frischer Neugierde: In 25 Jahren haben etwa 500 Menschen das Projekt durchlaufen. Ein einziger festangestellter Redakteur koordiniert vom Mehringhof aus Redaktion und Vertrieb. So wirtschaftet das Blatt beinahe kostendeckend.

Im Geburtstagsheft schreibt Gründervater Urs Müller-Plantenberg: „Heute arbeiten in der Redaktion junge Leute, die noch nicht geboren waren, als der Name Chile-Nachrichten begraben wurde. Das gilt es zu feiern“. Und das taten sie ausgiebig. Karin Gabbert

Ein Heft (66 Seiten) kostet sieben Mark. Kontakt: Tel. 030/6946100