Maryam, Ibrahim und die Giftmischer

■ Drei Wochen nach dem Tod von General Abacha rätselt Nigeria über die Umstände und Auswirkungen des plötzlichen Machtwechsels

Berlin (taz) – Nigerias verstorbener Präsident Sani Abacha liegt in einem unmarkierten Grab, verscharrt im Garten seiner Privatvilla in der nordnigerianischen Stadt Kano. Diskret verblaßt das Bild eines der mächtigsten Diktatoren Afrikas, der nach der offiziellen Version heute vor drei Wochen an Herzversagen starb. Und je länger der neue Diktator Abdulsalam Abubakar regiert, desto deutlicher werden nicht nur die Konturen einer möglichen politischen Öffnung, sondern auch die Antworten auf die vielen Fragen, die Abachas plötzlicher Tod hinterließ.

Wieso wurde Abachas Tod, der angeblich am Morgen des 8.Juni erfolgte, erst am Abend öffentlich bekanntgegeben, als die Leiche schon aus der Hauptstadt Abuja unterwegs nach Kano war? Wieso erhielt Abacha in Kano ein Begräbnis ohne militärische Ehren, bei einer Minizeremonie im kleinen Kreis, zu der nicht einmal die Nationalflagge gehißt wurde? Wieso wurde seine Leiche nicht obduziert? Die Militärführung habe den Staatschef und Oberkommandierenden der Streitkräfte „schändlich behandelt“, kritisierte unlängst der ehemalige Militärgouverneur von Lagos, Brigadegeneral Raji Rasaki. Militärsprecher Godwin Ugbo konnte darauf nur antworten, man habe die militärischen Ehren bereits in Abuja erledigt und die Nationalflagge sei in Kano zum Sonnenuntergang eingeholt worden wie immer. Dementiert wurde nichts.

Manche Gerüchte entfalten erst durch ein Dementi ihre Wirkung. Aber im Falle von Abachas Tod blühen die Gerüchte von allein, vor allem, da Abacha selbst das Streuen von Gerüchten zum Regierungsstil erhoben hatte. Der tote Staatschef sei gar nicht tot, lautet das abenteuerlichste dieser Gerüchte, sondern lebe in Libanon im Exil. Gängiger sind Überlegungen, wonach jemand Abacha beim Sterben geholfen habe. Der Staatschef war schwer nierenkrank, litt an Leberzirrhose und Prostatakrebs und befand sich in intensiver medizinischer Behandlung mit starken Medikamenten, die ihn monatelang an allen öffentlichen Auftritten hinderten. Der Bedienstete, der Abacha am Morgen des 8.Juni in seinem Schlafzimmer fand, soll die Leiche gekrümmt in einer Ecke liegend gesehen haben.

Eine Spur, die sich derzeit unter nigerianischen Beobachtern der größten Beliebtheit erfreut, geht von dem offiziell bestätigten Umstand aus, daß eine Obduktion Abachas von seiner Ehefrau Maryam verboten wurde. Die daraus folgende Geschichte, eine Mischung aus Politkrimi und Seifenoper, geht so: Maryam Abachas erster Ehemann in den sechziger Jahren hieß Shehu Musah Yar'Adua, und mit ihm hatte sie 1967 einen Sohn namens Ibrahim. Den nahm sie dann in ihre Ehe mit Sani Abacha mit, so daß er als Ibrahim Abacha aufwuchs. Als er 1994 von seiner wahren Identität erfuhr, verweigerte er Sani Abacha den Respekt, so daß dieser ihn Mitte Januar 1996 in einem fingierten Flugzeugabsturz umbringen ließ. Für diesen Absturz machte die Regierung damals einen Bombenanschlag radikaler Regimegegner verantwortlich.

Der eigentliche Vater, Shehu Musah Yar'Adua, wurde einer der promintesten Militärs aus Nordnigeria und war Ende der siebziger Jahre drei Jahre lang Vizepräsident. Seit 1995 saß er aber unter Putschvorwürfen im Gefängnis. Er starb im Dezember 1997 unter ungeklärten Umständen – der prominenteste politische Häftling Nigerias, der im Gefängnis zu Tode gekommen ist. Yar'Aduas Tod, so vermuteten viele schon damals, sei einem Giftanschlag des Staates zuzuschreiben. Mit Yar'Aduas Ermordung, so ein Beobachter, habe Abacha „seine Grenzen überschritten“ und den Zorn vieler prominenter Personen Nordnigerias auf sich gezogen. Nun habe Maryam Abacha ihren Mann, der aus Mißtrauen nur die von seiner Ehefrau persönlich zubereiteten Mahlzeiten aß, vergiftet – in Kooperation mit der Militärelite.

Auch falls diese Geschichte erfunden sein sollte, würde sie zumindest die derzeitige politische Lage erhellen. In Abachas letzten Wochen war es ein offenes Geheimnis, daß Putschvorbereitungen im Gange waren. In dem Maße, wie sich unter Abubakar das Klima innerhalb der herrschenden Elite wieder entspannt, kann das Regime auch risikolose Schritte Richtung Opposition unternehmen – zum Beispiel das mit Bedingungen behaftete Angebot der Freilassung von Moshood Abiola, Sieger der annullierten Wahlen von 1993. Eine Demokratisierung bedeutet das nicht – höchstens eine zivilere Militärherrschaft. Dominic Johnson