Die Grenzen des weiblichen Wachstums

■ Wie wird es den Frauen im 21. Jahrhundert ergehen? Zwei Zukunftsforscherinnen – vier Szenarien. Was Phantasie, was begründete Verlängerung von Trends ist, bleibt undeutlich

ZukunftsforscherInnen sind wohl die einzige wissenschaftliche Spezies, die es darauf anlegt, nicht recht zu behalten. Die Prognosen des Clubs of Rome in seinen Anfang der 70er Jahre veröffentlichten „Grenzen des Wachstums“ erwiesen sich als falsch, weil wir seitdem lernten, mit den irdischen Rohstoffen ein bißchen sparsamer umzugehen. Auf einen ähnlichen Lerneffekt hoffen wohl auch die zwei US-Zukunftsforscherinnen Pamela McCorduck und Nancy Ramsey (letztere selbst Mitglied des Clubs of Rome) mit ihrem jetzt auf deutsch erschienenen Buch „Die Zukunft der Frauen – Szenarien für das 21. Jahrhundert“. Zwischen den Zeilen wird deutlich, wie sehr sich die beiden feministischen Wissenschaftlerinnen wünschen, die weltweit von Männern gesetzten Grenzen des weiblichen Wachstums zu sprengen. Die Zukunft der Menschheit, so könnte man das Buch thesenartig zusammenfassen, wird sich im Umgang mit der kostbaren Ressource Frau entscheiden.

Die beiden Amerikanerinnen entwerfen vier verschiedene Szenarien. Wie bei der Zukunftsforschung üblich, stellen sie gegenwärtige Trends fest und versuchen vorherzusagen, wie diese sich unter verschiedenen Rahmenbedingungen weiterentwickeln. In der ersten, pessimistischen Variante („Triumph der Reaktion“; Grundannahme: es herrscht globale Rezession, Gruppenrechte haben die Oberhand) haben männliche Fundamentalisten weltweit das Sagen und halten ihre Frauen in halbsklavischem Zustand. In ihrem zweiten, optimistischen Modell („Ein goldenes Zeitalter der Gleichheit“; Grundannahme: die Wirtschaft floriert, Individualrechte dominieren) siegt zwar nicht das Matriarchat, aber die Gleichberechtigung. Ihr drittes Szenario („Zwei Schritte vorwärts, zwei Schritte zurück“; Grundannahme: Rezession und Vorherrschaft der Individualrechte) ist eine Mischung der ersten beiden, Fortschritte und Rückschritte halten sich in etwa die Waage. Ähnlich ist es auch im vierten („Separat – ja bitte!“; Grundannahme: Wachstum, Dominanz der Gruppenrechte), mit dem Unterschied, daß darin ungeduldige Frauen nicht länger warten wollen und ihre eigenen Projekte und Organisationen gründen.

Welches Szenario das wahrscheinlichste ist, lassen die Autorinnen bewußt offen. „Wahrscheinlich wird von jedem etwas vorkommen“, schreiben sie. Bei der Lektüre wird jedoch deutlich, wie sehr das „Goldene Zeitalter der Gleichheit“ wohl ein schöner Wunschtraum bleiben wird, basierend auf einer geradezu naiv anmutenden Begeisterung der Autorinnen für die neuen Informationstechnologien (und übrigens auch für die Gentechnologie und Reproduktionsmedizin). Was den letzten Anstoß für die „große Bewußtseinsveränderung“ gegeben habe, die um das Jahr 2015 die Welt revolutioniere, könne man, so die AutorInnen, nicht sagen. Womöglich aber sei es die „Leichtigkeit“ gewesen, mit der die Frauen weltweit „sich plötzlich dank billiger Breitbandmedien mit eigenen Augen davon überzeugen konnten, wie frei Frauen in anderen Weltgegenden lebten“. Internet-Spiele sorgten dafür, daß „im Jahre 2015 nicht nur die Gräben zwischen den Nationalitäten zugeschüttet waren, sondern auch die einst zwischen den Geschlechtern errichteten rigiden Schranken beseitigt wurden, zunächst im Spiel und dann in der Wirklichkeit“. Auch das „nachhaltige Wachstum“ der Weltwirtschaft basiere auf den neuen Technologien, und „dank der Produktivitätssteigerung durch die Informationstechnologie waren die Löhne hoch genug, damit eine Familie von zwei Teilzeitjobs leben konnte“. Die Rechte der Frauen „wurden zum Synonym für Menschenrechte“, Prostitution „wurde zu einer gesetzlich geregelten, besteuerten und unabhängigen Heimarbeit“, und diese „Entindustrialisierung des Sex brachte enorme Erleichterung für die Frauen in Asien, wo die Sexindustrie so etwas wie einen traurigen Höhepunkt erreicht hatte“. Mehr gebildete Frauen „als je zuvor in der Geschichte“ beträten die Bühne der Welt und eine „kritische Masse“ von Frauen revolutioniere die Wissenschaft.

Auf welch wunderbare Weise aber sorgen Rationalisierungstechnologien wie die Computerisierung plötzlich für massenhaft neue Arbeitsplätze? Das ist eine der zentralen Fragen, die die Autorinnen nicht beantworten; sie gehen einfach davon aus. Redlicherweise hätten McCorduck und Ramsey wenigstens erwähnen müssen, daß sie dieser optimistischen Sichtweise anhängen, und sie hätten für ihr pessimistisches Szenario „Triumph der Reaktion“ das Gegenteil annehmen müssen. Daß dem nicht so ist, zeigt, daß hier nicht mit legitimen Annahmen hantiert wird, sondern mit purer Ideologie.

Ähnliche inhaltliche und methodische Schwächen durchziehen das gesamte Buch und drücken seinen Gebrauchswert erheblich. Nie weiß man ganz genau, auf welcher Ebene McCorduck und Ramsey gerade argumentieren, ob der jeweilige Textabschnitt auf Phantasie pur oder auf der Verlängerung von Trends basiert und, wenn ja, von welchen. Auch wenn Studien und Zahlen erwähnt werden, wird nicht sofort sichtbar, ob es sich um faction oder fiction handelt, zumal nie Quellen genannt werden.

Ein Beispiel: „Während der letzten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts verließen Jahr für Jahr mehr als dreihunderttausend Filipinas auf der Suche nach Arbeit ihre Heimat.“ Das Buch erschien 1996 in den USA, die genannten „letzten zwei Jahrzehnte“ beziehen sich also auf einen Zeitraum, in dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mischen. Haben die Autorinnen hier eine ihnen vorliegende Studie über die Migration von den Philippinen verarbeitet oder sich irgendwas aus den Fingern gesogen? Ernsthafte Zukunftforschung vorgelegt oder eine beliebige Märchensammlung? Schade: eine vertane Chance. Ute Scheub

Pamela McCorduck, Nancy Ramsey: „Die Zukunft der Frauen. Szenarien für das 21. Jahrhundert“. S. Fischer Verlag, 378 S., 36 DM