Goebbels' Hexenküche

Felix Moeller hat die Tagebücher des Reichspropagandaministers durchkämmt, um die Filmpolitik des Allgewaltigen aus den Quellen darzustellen  ■ Von Johannes Schneider

„Es ist für mich immer wieder erfreulich festzustellen, daß der Geschmack des deutschen Volkes im großen und ganzen mit meinem eigenen übereinstimmt.“

(Joseph Goebbels)

Wohl kein anderer Politiker hat in unserem Jahrhundert so viel Macht über das Medium Film ausgeübt wie Joseph Goebbels, „Minister of Illusion“ im Dritten Reich. Obwohl Goebbels' grenzenlose Bewunderung für seinen Führer („auf allen Gebieten Fachmann“ – Tagebucheintrag vom 10.7.1939) offensichtlich Züge von schwerer Wahrnehmungstrübung aufwies („größtes geschichtliches Genie – Eintrag 23.7.1944), gilt Goebbels zu Recht als der zweite große „master showman“ (Eric Rentscheler) auf der politischen Bühne des nationalsozialistischen Deutschland.

Die eigentliche Leistung der Arbeit „Der Filmminister“ von Felix Moeller liegt in der akribischen Auswertung der Tagebücher bezüglich der Filmpolitik und des filmischen Selbstverständnisses des NS-Propagandaministers. Moeller betreibt durchgehend und systematisch kritische Quellenarbeit. Minutiös werden Tagebuchauszüge zu den filmischen und filmpolitischen Ereignissen der Zeit in Bezug gesetzt und beurteilt.

Der Gefahr der vermeintlichen Intimität der Quelle – wie Hitler schielte Goebbels schon zu Lebzeiten auf die Blicke der Nachwelt und betrieb auf den über 40.000 Seiten (!) seines Tagebuches konsequente Schönfärberei – begegnet Moeller mit einer breiten zeitgeschichtlichen Quellenbasis. Die Erkenntnisse, die aus dieser Arbeitsweise resultieren, bringen zwar kaum Sensationen, wohl aber einen detailgenauen Blick auf die Innenperspektive der Macht.

Wenig ergiebig erweist es sich nach Moellers eigener Einschätzung, die Tagebücher mit dem Ziel auszuwerten, dem Kunst- und Kulturverständnis von Joseph Goebbels auf die Spur zu kommen. Goebbels' Aufzeichnungen sind kein Spiegel der Nazi-Auseinandersetzung mit der künstlerischen Avantgarde der Zeit.

Erst im letzten Kapitel beschreibt Moeller den Starkult der Nazis. Obgleich auch hier um nüchterne Sachlichkeit bemüht, kann der Autor, indem er die Tagebücher heranzieht, interessante Funde zu den persönlichen Beziehungen mitteilen, die Filmgrößen wie Luis Trenker oder Heinz Rühmann zu Goebbels unterhielten.

Gerade die Stärke der Arbeit, die detaillierte, chronologisch aufgebaute Untersuchung von Goebbels' Griff nach der deutschen Filmindustrie, gerät Moeller allerdings auch zur Schwäche. Statt aus der Fülle des historischen Materials die divergenten Entwicklungslinien der NS-Filmpolitik herauszuarbeiten und zu diskutieren, verharrt der Autor allzu häufig bei einer faktenorientierten Ereignisgeschichte, deren Hauptlinien in groben Zügen wie folgt lauten: Nachdem Goebbels die „deutschnationalen Parteionkels abserviert hatte“ (J. Goebbels), kam der Filmminister mit seinen „Reformen“ zunächst nur schleppend voran. Grund dafür war neben einer fehlenden Programmatik u.a. die von Hitler geschürte, schwer zu durchschauende Konkurrenz zu zahlreichen anderen NS-Filmabteilungen.

So kam die private Filmwirtschaft erst nach und nach unter die Herrschaft der nach staatlicher Zentralisierung strebenden NS- Filmpolitik. Obwohl er direkte politische Propaganda vermied („SA-Männer sollen nicht durch den Film, sondern über die Straße marschieren“), gelang es dem ehrgeizigen „Reichslügenmaul“ nicht, mit der nationalsozialistischen Filmindustrie auf dem internationalen Filmmarkt Fuß zu fassen.

Darüber hinaus stießen die filmwirtschaftlichen und machtpolitischen Zielvorgaben der neuen Machthaber an strukturelle und personelle Grenzen. Insbesondere die „Auskämmaktionen“ gegen deutsch-jüdische Schauspieler und Regisseure führten zu einer Qualitätsminderung der deutschen Filmproduktion, deren Folgen bis heute spürbar sind.

Hinzu kam, daß die Filmproduktion durch die Zensur quantitativ begrenzt wurde. Denn das Verbot und das häufige Umschneiden von bereits fertigen Produktionen führten zu einer erheblichen Steigerung der Produktionskosten.

Erfolgreich war die NSDAP dagegen im systematischen Aufbau eines flächendeckenden Netzes von NS-Filmstellen. So gab es 1936 771 Kreisfilmstellen mit 22.357 Ortsgruppen.

Eine grundsätzliche Änderung der Situation ergab sich bei Kriegsbeginn, als der Krieg gewissermaßen die Themen vorgab.

So lobenswert der theoretische Akzent der Arbeit – ereignisgeschichtliche Deskription mit deutlicher Distanz zu allem Spekulativen –, so wäre doch eine größere Synopsis der Stoffülle, etwa eine engere Verbindung der NS-Filmpolitik zur sonstigen NS-Propaganda wünschenswert.

Auch bei der Frage nach den Kontinuitäten und Brüchen mit der Filmpolitik der Weimarer Republik hätte ein eigenes Kapitel das Verständnis vertieft („Wir wollen den Film erobern, weil wir Deutschland erobern wollen“; Völkischer Beobachter 1931). Zwar erfährt man, daß schon vor der Machtübergabe der Konservativen an die Nazis „weitreichende wirtschaftliche und strukturelle Reformen“ innerhalb der Filmindustrie diskutiert wurden. Doch welche Parteien, Politiker und mit welchen Interessengruppen eine staatlich koordinierte und zentralisierte Leitung der Filmwirtschaft anstrebten, bleibt im dunkeln.

Deutlich wird dagegen, daß die „Arisierung“ der Filmindustrie in einen Konzentrationsprozeß mündete, in dessen Verlauf die kleinen und mittleren Betriebe, denen die NS-Propaganda jahrelang Wahlversprechen gemacht hatte, im Gegensatz zu den Großbetrieben finanziell nicht unterstützt oder sogar aufgelöst wurden.

Moellers Versuch, ein kleines Psycho- und Soziogramm des typischen NS-Filmfunktionärs zu entwerfen, der die mittelstandsfeindliche Filmpolitik exekutierte, kommt über plakative Gemeinplätze (Künstler, Kapitalisten, Versager) nicht hinaus. Auch eine psychohistorische Lesart, etwa von Goebbels' pathologischer Neigung, eigene Meinungen, Ansichten oder Wünsche auf das deutsche Volk zu projizieren („Das deutsche Volk wünscht, daß... = ich, Joseph Goebbels, wünsche, daß...“), unterbleibt.

Erhellend ist Moellers Blick auf die Vorbildfunktion ausländischer Filme. Trotz ideologischer Scheuklappen und tendenziöser Zerrbilder erkannte Goebbels die Leistungen der amerikanischen Unterhaltungsindustrie und der russischen Filmkunst.

Mit enormem Einsatz und mäßigem Erfolg versuchte der Filmminister, Vergleichbares in der NS-Filmindustrie zu fördern. Da Moeller die ästhetische Analyse der NS-Filme kurz hält und keine ästhetische oder soziologische Typologie des NS-Films ausarbeitet, bleibt man bei der Beantwortung der Frage, wie es der nationalsozialistischen Filmindustrie gelingen konnte, den Massengeschmack bis weit in die Nachkriegszeit zu prägen, ein wenig unbefriedigt zurück.

Ergebnis der Untersuchung sind 450 Seiten, deren Schwerpunkt auf der Darstellung struktureller Entwicklungen, filmpolitischer Initiativen sowie der Eigenheiten und Eitelkeiten eines kleinen Mannes liegt, der in der Tat große Ambitionen hatte: „Ich habe den Ehrgeiz, den deutschen Film zu einer beherrschenden kulturellen Weltmacht auszubauen“ (Eintrag 16. 12. 1941).

Felix Moeller: „Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich“. Mit einem Vorwort von Volker Schlöndorff. 480 S., Henschel Verlag, Berlin 1998, DM58