Mit fiesen Methoden gegen den Kindesmißbrauch

■ Wie eine Kolonne von Zeitungsdrückern zieht ein dubioser „Verein gegen sexuellen Mißbrauch von Kindern“ durch das Allgäu. Die Polizei beäugt das Treiben bereits aufmerksam

Memmingen (taz) – In der Fußgängerzone in Mindelheim werben zwei junge Männer für den „Verein gegen sexuellen Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen e.V.“. Als der Passant nicht auf die Werbeversuche reagiert, schmettert der aggressive Werber ihm ein „Du machst es wohl auch?“ entgegen. Pech für den bezahlten Mitgliederwerber des Mindelheimer Vereins, daß der derart Attackierte ein Polizeibeamter in Zivil ist, der seine Kollegen auf der Wache anruft, die Personalien feststellen läßt und Anzeige wegen „sexueller Beleidigung“ erstattet.

Mit fiesen Methoden warb der eingetragene „Verein gegen sexuellen Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen“ vor einem Jahr. Immer noch sollen die selbsternannten Kinderschützer rüde auftreten. Wie Ursula Grüner, Vorsitzende von Avalon, dem „Arbeitskreis gegen sexuellen Mißbrauch“, sagt, arbeitet der Verein mit Unwahrheiten, falschen Förderaussagen und unter Vorspiegelung einer engen Zusammenarbeit mit Avalon. „Die haben gesagt, sie würden uns finanziell unterstützen, würden derzeit 35 jungen Frauen unter 18 Jahren, die mißbraucht wurden, eine Therapie bezahlen. Außerdem gaben sie an, sie hätten bereits über 4.000 Mitglieder“, sagt Grüner. Immer wieder werde die Seriosität mit Hinweis auf den Mindelheimer Rechtsanwalt Josef Herele, Gründungsmitglied und Justitiar des Vereins, hervorgehoben. Avalon hat inzwischen Anzeige erstattet.

Welche Ziele verfolgen die vermeintlichen Kinderschützer? Inzwischen fragen sich dies neben Avalon auch die Behörden. Lediglich zehn stimmberechtigte Mitglieder hat der Verein, aber nach Angaben von Anwalt Herele rund 2.000 Fördermitglieder ohne Stimmrecht. „Wenn sie 2.000 stimmberechtigte Mitglieder haben, können sie jede Vereinsversammlung vergessen. Da kommt mit absoluter Sicherheit nichts mehr raus“, meint selbst Rechtsanwalt Herele. Von den angeblichen Therapien für 35 junge mißbrauchte Frauen, die immer wieder als Anwerbeargument und Vorzeigehilfsfälle präsentiert werden, ist ihm allerdings nichts bekannt.

Auch darüber, wie die Spenden verwendet werden, bleibt Herele vage. Seit Ende 1996 hat der Verein 80.000 Mark kassiert, sagt der Anwalt. „Von den Kosten her übernehmen wir zwei Sachen: Kosten eines Rechtsanwalts, also nicht meine, jeder kann zu dem Anwalt gehen, den er möchte. Und, wenn die Kassen eine Therapie nicht bezahlen, wären wir auch bereit, diese zu übernehmen.“ Doch konkret wurde bislang nicht eine einzige Therapie bezahlt, räumt der Anwalt ein. „Aber Rechtsanwaltskosten schon.“ Genau beziffern kann er diese allerdings nicht. „Bisher gemeldet haben sich fünf Personen.“

Aber da bleibt ja noch ein großes Zukunftsprojekt, an dem sich der Mindelheimer Verein beteiligen will: eine bislang nur als Planskizze vorgelegte Schule für Straßenkinder in Paraguay, die nicht nur vom „Verein gegen sexuellen Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen e.V.“ unterstützt werden soll, sondern angeblich auch mit zweistelligen Millionenbeträgen aus der Kasse der Europäischen Union.

Momentan laufen mehrere Verfahren gegen den Verein. Werber schlagen sich mit Ordnungswidrigkeitenanzeigen herum. Zudem melden sich beim Amtsgericht Memmingen die Anfragen nach dem Hintergrund des Vereins. Von derlei Dingen läßt sich Rechtsanwalt Herele nicht irritieren. In ganz Deutschland sollen Fördermitglieder geworben werden, bestätigt er. „Wir sind überwiegend im süddeutschen Raum aktiv, aber wir versuchen das auf die ganze Bundesrepublik auszudehnen.“ Den Vorwurf, hier würde unter dem Deckmantel eines guten Zweckes mit Drückermethoden gearbeitet, weist der Anwalt zurück. „Ich würde das nicht als Drückerkolonnen bezeichnen. Wir haben Mitarbeiter, von denen verdienen einige was. Wir machen das gleiche, was zum Beispiel das Deutsche Rote Kreuz und der Malteserhilfsdienst tun. Die haben auch Werber, die bezahlt werden.“

Auch von den falschen Aussagen bezüglich Avalon und dem rüden Vorgehen seiner bezahlten Werber will der Rechtsanwalt des „Vereins gegen sexuellen Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen e.V.“ vorher nichts gehört haben, obwohl gegen einen der Drücker vor über einem Jahr ein Verfahren in Mindelheim lief.

Der taz liegen zwei eidesstattliche Versicherungen vor, die besagen, daß mit völlig falschen Mitgliedszahlen – über 4.000 statt der tatsächlichen 2.156 – geworben wurde und eben sehr wohl ganz dezidiert mit den Avalon- Kontakten und der finanziellen Unterstützung der in Bayreuth hochangesehenen Initiative argumentiert wurde; also unter Vorspiegelung völlig falscher Tatsachen und unter Mißbrauch anerkannter ehrenamtlicher Kräfte. Klaus Wittmann