Kulturrettende Kräfte

Kenntnis, Hedonismus, Verbindlichkeit, Erotik – Der Salon ist tot, es lebe der Salon!  ■ Von Hajo Schiff

Einst waren die Männer auf Kreuzzug, im Krieg oder auf der Jagd, und in männlicher Barbarei pisßten sie in Versailles an die Gobelins. Heute sind sie auf der Kreuzfahrt, dem Golfplatz oder beim Management-Training, und in männlicher Barbarei wissen sie gar nicht mehr, was ein Gobelin überhaupt ist. Die kulturrettende Kraft der Frauen dagegen wurde am Dienstag im Literaturhaus hymnisch gelobt: Schließlich waren sie seit dem Mittelalter das Zentrum aller jener schöngeistigen Kreise, die seit knapp zweihundert Jahren als „Salons“ bezeichnet werden. Und um diese Orte freien Denkens und geschliffenen Gesprächs ging die Podiumsdiskussion, zu der die Lichtwarkgesellschaft anläßlich ihres 25-jährigen Jubiläums geladen hatte.

Die Lichtwarkgesellschaft will bildende Kunst und Künstler in und um Hamburg fördern und den Hamburger Bürgern nahebringen. Gründungsmitglied und bis heute im Vorstand ist Heinz Spielmann, Leiter des Landesmuseums Schloß Gotttorf. Er hatte auch die Gesprächsleitung des Abends übernommen, dessen prominentester Gast Nicolaus Sombart war. Der äußerst kultivierte Professor der Kultursoziologie führt tatsächlich seit 15 Jahren in Berlin einen regelmäßigen Salon.

Doch sei diese alte in der französischen Aufklärung und im Berlin der Romantik zu besonderer Blüte gekommene Gesellschaftsform unwiederbringlich vorbei, konstatiert Verena von der Heyden-Rynsch, Autorin von Europäische Salons, dem wichtigsten Buch zum Thema. Die Salons von Madame de Stael, Rahel Varnhagen und Getrude Stein sind längst Literaturgeschichte. Abgesehen von der verlorenen Form intellektuellen Umgangs, fehle heute vor allem die notwendige Menge an Zeit. Und die Frauen, die als Salongastgeberinnen in Frage kämen, verzichten heute lieber auf ein kultiviertes, aber privates Gegenreich und arbeiten stattdessen selbst als Schriftstellerinnen, Journalistinnen, Galeristinnen oder Kuratorinnen.

Doch besteht weit über das Podium im Literaturhaus hinaus bei Museumsleuten und KunstvermittlerInnen, ProfessorInnen, AutorInnen, KomponistInnen und KünstlerInnen weitgehend Einigkeit: Es fehlt ein Ort, an dem kompetent über Kunst gesprochen wird, ein Treffpunkt, der zugleich festlich, hedonistisch, individuell, differenziert, kenntnisreich, idealistisch und gerne auch etwas erotisch inspiriert und durchaus elitär ist. Die Vernissage ist zu allgemein, das private Gespräch zu unverbindlich und während der regulären Öffnungszeiten der Galerie kommt sowieso kein Schwein. Die Medien sind teils zu oberflächlich, teils zu speziell und auf keinen Fall dialogisch. Und der Stammtisch einzelner Berufskreise bestätigt nur in eigener Fachsprache die Gruppenmeinung und bringt nichts neues.

Der Hamburger Galerist Cato Jans versucht es mit einem Kunstclub und nicht wenige andere favorisieren die thematische Abendeinladung. Doch Irrelevanz und Konfusion greifen in dem Maße um sich, daß man versucht ist, in religiösen Begriffen zu sprechen: Mitten in der durchmediatisierten Welt sind wir vom Tod der Verständigung umfangen. Da wird schon jedes Abendmahl mit einem Künstler zu einer kulturellen Offenbarung, selbst wenn es doch nur ein barbarisches Saufgelage war. Die Sehnsucht nach wirklichem Gespräch, einem intensiven, verbindlichen Austausch ohne kurzfristigen Zweck steigt – eine Form muß noch gefunden werden.