Analyse
: Der IWF braucht Stoff

■ Nach der Asienkrise steht der Währungsfonds kurz vor der Pleite

Welch eine Ironie: Da hat der Internationale Währungsfonds (IWF) im vergangenen Jahr zweistellige Milliardenkredite an die asiatischen Krisenstaaten gewährt. Und jetzt droht ihm selbst die Pleite. Auf zehn bis 15 Milliarden Dollar seien die flüssigen Reserven des IWF geschrumpft, gestand IWF-Chef Michel Camdessus gestern ein. Das reiche nicht für eine neue Krise. Recht hat er. Denn allein an Thailand, Indonesien und Süd-Korea vergab der IWF Kredite in Höhe von 35 Milliarden Dollar aus seinen Eigenmitteln. Jetzt hält Camdessus die Hand auf und fordert von den IWF-Mitgliedstaaten die nächsten Milliarden an.

Zwar wurde im vergangenen Herbst auf der IWF-Tagung beschlossen, die Einlagen der Mitgliedsländer beim IWF um 45 Prozent oder 90 Milliarden Dollar zu erhöhen. Zusätzlich könnte der IWF jene 24 Milliarden Dollar einfordern, zu deren Zahlung in Krisenzeiten sich die elf größten Industriestaaten 1962 im Allgemeinen Kreditabkommen verpflichtet hatten. Die Frage ist aber, ob der IWF ein Krisenmanager ist, bei dem diese Milliarden gut aufgehoben sind. Für eine wachsende Zahl von Kritikern lautet die Antwort: nein.

Zum einen sind die Konditionen, zu denen der IWF seine Kredite zuletzt an die asiatischen Krisenstaaten vergeben hat, für die angeschlagenen Ökonomien brutal. Die Zinssätze sollen angehoben werden, um einen weiteren Kapitalabfluß zu vermeiden. Die Inflationsrate soll niedrig bleiben. Finanzexperten sind sich einig: Wer vor dieser Kur krank ist, wird danach todkrank sein. Denn solche Rezepte bringen keine Konjunktur wieder in Gang.

Zum anderen entwickelt sich der IWF allmählich zu einer Versicherungsanstalt für unprofessionell agierende internationale Banken. Denn die faulen Kredite in den Krisenregionen, die auf spekulativem Kapital basierten, werden mit IWF-Milliarden gerettet. Das Problem hierbei ist weniger, daß es sich bei IWF-Dollars um Steuergelder der Mitgliedsländer handelt. Nicht alle finanzieren ihre IWF-Quote aus dem nationalen Haushalt. Eine Aufstockung der IWF-Reserven – es wäre die zehnte seit seiner Gründung 1947 – signalisiert vielmehr: Das Spiel geht weiter, nur der Einsatz wird erhöht.

Da wäre es an der Zeit, sich darauf zu besinnen, warum der IWF überhaupt gegründet wurde: als Institution, die die Stabilität der Wechselkurse im Weltwährungssystem von Bretton Woods gewährleisten sollte, und nicht als Vollstrecker zweifelhafter Wirtschaftstheorien. Im Bretton-Woods- System, das 1971 dahinschied, waren jähe Kapitalabflüsse wie jene, die die Asienkrise auslösten, unmöglich. Anstatt dem IWF weitere Milliarden in den Rachen zu werfen, sollte er besser in ein neues Bretton-Woods-System eingebunden werden. Niels Boeing