Abwärtstrend abrupt gestoppt

Goran Ivanisevic spielt heute nach Monaten der Erfolglosigkeit im Halbfinale von Wimbledon gegen Krajicek, und die ATP verpaßt ihrer Tour mehr Attraktivität  ■ Von Karl-Wilhelm Götte

London (taz) – Der Mann sieht furchterregend aus. Ein wahrer Riese, lange Haare, das ganze Gesicht ein Bart, der Blick düster; Goran Ivanisevic gehört eher zu den Männern, denen man spätabends in dunklen Ecken aus dem Weg gehen würde. „Ich rasiere mich nicht, ich bin einfach zu faul, und während eines Turniers ändere ich nie etwas, da bin ich abergläubisch“, meint er lapidar.

Der Kroate mußte in den letzten Monaten einiges aushalten. Nach einem Turniersieg in seiner Heimatstadt Split Anfang Februar traf er kaum noch einen Tennisball richtig genug, um einen Gegner besiegen zu können. „Es ging nur abwärts, jede Woche abwärts, abwärts, abwärts“, verzieht Ivanisevic das Gesicht, so daß jeder seine Verzweiflung mitfühlen kann. In der Weltrangliste stürzte der jahrelange Top-Ten-Spieler vor Wimbledon auf Platz 24 ab. Das dortige Setzkomitee, das sich wenig um den Ranglistencomputer schert, war gnädig und plazierte Goran Ivanisevic an die 14. Stelle. „Ich hatte angefangen, mit mir selbst Mitleid zu haben“, erzählt er, „und das ist das Schlimmste, was dir passieren kann.“

Für sein elftes Wimbledon hat sich Goran Ivanisevic („Ich gehöre bereits zu den Veteranen hier“) noch mal richtig „reingehängt“. Wo auch sonst sind seine Chancen größer als im Südwesten Londons, endlich ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen? Zweimal stand er bereits im Finale. Zweimal verlor er. 1992 gegen Pete Sampras glatt, 1994 trotz gut 40 Assen gegen einen virtuosen Konterspieler Andre Agassi in fünf Sätzen. Bis zum Halbfinale hat es der 26jährige Linkshänder in diesem Jahr bereits wieder geschafft. Das heutige Spiel gegen den Niederländer Richard Krajicek, der sich vor zwei Jahren den Titel holte, garantiert kurze Ballwechsel. Auch Krajicek, gleichaltrig wie Ivanisevic und mit 1,96 m noch zwei Zentimeter größer, entscheidet seine Rasenspiele mit einem Service konstant jenseits der 200-Stundenkilometer-Marke. „Entscheiden wird der bessere Return“, ist der Kroate sicher.

Goran Ivanisevic vertraut momentan nicht nur auf seine sportlichen Qualitäten, er sucht auch mentalen Beistand bei Gott: „Er sieht mir immer zu, warum soll ich nicht mit ihm reden?“ Außerdem ist er glühender Fußballfan und Nationalist. „Goran, wie wäre es, wenn Kroatien die Fußball-WM gewänne und du hier in Wimbledon?“ wollte ein englischer Frager wissen. Die Antwort kam prompt: „Ich glaube, dann wäre das ganze Land für den Rest des Jahres betrunken und ich auch. Wir würden nur noch feiern. Meine Schläger würde ich hier ins Klo stellen und sie nächstes Jahr wieder abholen.“

Während Goran Ivanisevic, Richard Krajicek und die beiden anderen Halbfinalisten Pete Sampras und Englands große Hoffnung Tim Henman um den Titel in Wimbledon ringen, strebt die ATP eine bessere Zukunft für das an Popularitätsverlust leidende Tennis an. Eine dubiose Firma „Prisma“, offenbar mit Boris Becker als „Frontman“, hat der Spielervereinigung angeblich 50 Millionen Mark für die Vermarktung ihrer Turnierserie geboten. „Wir wollen unseren Sport weltweit populär machen und deshalb keine Übertragung unserer Turniere im Pay-TV“, wehrt ATP-Chef Mark Miles jedoch ab. Übersichtlicher soll es jedoch werden. Ab 2000 gilt für die Weltrangliste das System der Formel 1. Alles beginnt jedes Jahr bei Null. Die Top-50-Spieler sind verpflichtet, die vier Grand- Slam-Turniere und die Super-9- Serie, dotiert mit jeweils 2,3 Mio. Dollar, zu spielen. Dazu können sie bei maximal weiteren fünf Turnieren punkten. Momentan zählen die 14 besten Turnierergebnisse der letzten 52 Wochen für die Rangliste, kaum nachvollziehbar für den Tennisfan. „Egal ob jemand jetzt heiratet oder im Krankenhaus liegt“, meint Miles, „wer fehlt, erhält keine Punkte.“

Geschlossen wurde der Vermarktungsvertrag bis 2003 schließlich nicht mit dem Unternehmen „Prisma“, sondern mit den Sportmarketing-Agenturen Octagon und ISL, die auch die Rechte für die Fußball-Weltmeisterschaft verkauft. Gerade von einem möglichen ständigen Wechsel des Weltranglistenersten versprechen sich die Vermarkter neue Spannung im Profitennis. Die ATP-WM, die noch zwei Jahre in Hannover stattfindet, wird dann auch um den Globus rotieren. Weitere gemeinsame Turniere mit den Frauen wie in Key Biscayne sind ebenfalls vorgesehen, müssen aber noch mit der WTA der Frauen unter Dach und Fach gebracht werden. Erfreulich für den Deutschen Tennis Bund (DTB): Das Hamburger Turnier behält seinen Platz in der Super-9- Serie und rückt in zwei Jahren sogar auf den Platz von Rom. Es wird dann eine Woche später im Mai stattfinden – mit besserem Wetter, wie die Veranstalter hoffen. „Wir haben alles erreicht, was wir wollten“, sagte DTB-Generalsekretär Günter Sanders zufrieden.