Möwe auf der Schulter

Eine Perspektive für Sozialhilfeempfänger: Die Agentur Maatwerk vermittelt Arbeitsplätze an Menschen, die wenig Chancen haben  ■ Von Karin Flothmann

Zbigwiew O.

kann alles. Im Hafen von Danzig hat er mit dem Sandstrahler Schiffe von Farbe befreit. In den Plattenbausiedlungen der Vorstadt hing er im elften Stock an der Fassade und kittete Fugen. Anzusehen ist dem 25jährigen das nicht. Mit seinen dunklen Strubbelhaaren und der schlaksigen Figur wirkt er eher wie ein zu groß geratener Junge. Vor vier Jahren kam der junge Pole nach Hamburg. Hier lebt seine Frau. „Hier ist es schön. Schöne Geschäfte. Schöne Autos.“ Nur das mit der Arbeit, das ist nicht so schön.

Zbigwiew O. hat nichts gelernt. Deutsch kann er zwar leidlich sprechen, aber nicht schreiben. Erst über die Vermittlungsagentur Maatwerk fand er Arbeit. Anderthalb Jahre jobbte er in einer Wurstfabrik. Dann lief der Zeitvertrag aus, und Zbigwiew, der gerade Vater geworden war, stand wieder auf der Straße. Seit drei Tagen arbeitet er nun in einer kleinen Schlachterei. Jeder macht hier alles, niemand hat Zeit. Zbigwiew ist frustriert. „Immer steh' ich da nur rum und muß fragen, was jetzt?“

Ärger und Unmut bekommt auch die Mitarbeiterin von Maatwerk zu spüren, die ihm diesen zweiten Job vermittelt hat. „Ohne Einarbeitung geht's nicht“, befindet sie und verspricht, den Arbeitgeber gleich morgen anzurufen. Doch Zbigwiew weiß nicht, ob das hilft. Er ist unglücklich. Die Arbeit läuft schief. Alles in Deutschland ist so schwer. Und dann sind da noch Frau und Kind. „Wenn ich hier gar nichts finde“, meint er, „dann geh ich zurück nach Polen. Das ist mein Land.“

Zbigwiew ist einer von 1800 Sozialhilfeempfängern, die seit Februar 1996 von Hamburgs Sozialämtern zu einer der fünf Maatwerk-Filialen in der Stadt geschickt wurden. 520 von ihnen konnte die Agentur einen Arbeitsplatz vermitteln, nicht selten einen unbefristeten. Rund zwei Drittel aller Stellen, die die sieben Maatwerker auf informellen Wegen auftreiben, sind auch für Ungelernte wie Zbigwiew geeignet. Aber nicht nur für Menschen wie ihn.

„So mancher hat mal eine Lehre als Schlosser gemacht, weil der Vater das so wollte“, weiß Projektleiter Jens Wittekind. „Gearbeitet hat er dann nie in dem Job.“ Einmal Schlosser, immer Schlosser, lautet in solch einem Fall die Devise des Arbeitsamtes. Die Maatwerker hingegen versuchen in Einzelgesprächen herauszufinden, wo die wahren Stärken und Schwächen ihrer Klientel liegen.

Anna Z.

kommt aus Rußland. Vier Jahre lang war sie dort in einer kleinen Firma Buchhalterin. Von Computern hat sie keine Ahnung. Die gab's dort nicht. „Ich möchte etwas tun“, sagt sie, „ich möchte was für mich finden.“ Ursula Rohde, Maatwerkerin in Harburg, fragt nach: „Was würde Ihnen denn Spaß machen?“ Die junge Aussiedlerin streift sich kurz durchs lange blonde Haar: „Das ist ganz egal. Nur zu Hause sitzen ist furchtbar.“ Jeden Job will Anna dann doch nicht. „Medizin hat mich immer interessiert“, sagt sie, und nach einer kurzen Pause folgt zögernd: „Ich kann gut mit Leuten arbeiten.“

„Möchten Sie etwas tun oder etwas lernen?“ fragt Rohde nach. Immerhin ist Anna erst Anfang zwanzig. Sie könnte mit etwas Glück eine Lehrstelle finden, vielleicht ja als Arzthelferin. „Ich will lernen“, sagt Anna bestimmt. Und vergißt für einen Moment, daß sie ein vierjähriges Kind hat. Als die Sprache auf die Tochter kommt, wird Anna unsicher. „Für die will ich aber auch dasein“, flüstert sie fast.

Eine halbe Stunde lang dreht sich das Gespräch um die Möglichkeiten, die der jungen Mutter offenstehen: Lehrstelle plus Tagesmutter oder Halbtagsjob und Zeit für's Kind. Anna wird immer stiller, verschränkt die Arme vor der Brust, Zeigefinger und Daumen spielen nervös mit dem Jackenärmel. Ursula Rohde setzt einen Schlußpunkt: „Überlegen Sie sich bitte bis Montag, was Sie wirklich möchten, und rufen Sie mich dann an.“ Anna Z. wirkt erleichtert.

Maatwerk macht auch Angst, zumindest zu Anfang. Manche Frauen haben die Nacht vor dem ersten Gespräch kein Auge zugetan, weiß Rohde. „Die denken, ich schicke sie für zwei Mark die Stunde zum Laubrechen in den Park.“ Doch von solchen Jobs sind die Maatwerk-Angebote weit entfernt. Angst vor Sanktionen müssen nur diejenigen haben, die sich nach zweimaliger Einladung immer noch nicht gemeldet haben. Ihre Akten gehen zurück an das Sozialamt.

„Zurückgegeben“ werden auch Sozialhilfeempfänger, die nicht fähig sind, regelmäßig zu arbeiten, oft aus gesundheitlichen Gründen. Etwa die Hälfte aller vom Sozialamt Vermittelten schickte Maatwerk nach einer Zeit der Betreuung wieder zurück. „Wer zum Beispiel starke Alkoholprobleme hat, kann halt nicht ganz normal arbeiten“, sagt Projektleiter Wittekind. Da ist Entzug angesagt.

Gerlinde B.

redet ohne Punkt und Komma. Ursula Rohde hört zu. Von einer Freundin hat Gerlinde vor vier Tagen eine Entspannungscassette geschenkt bekommen. Die hört sie sich jetzt täglich an. „Die Stimme darauf ist so ruhig.“ Beim ersten Mal schlief sie prompt ein. „Jetzt liege ich ganz ruhig da, höre das Meeresrauschen, und dann sehe ich den Strand vor mir. Gestern saß mir dabei sogar eine Möwe auf der Schulter.“ Gerlinde lacht.

Früher hat die 42jährige als Packerin und in Putzkolonnen gearbeitet. Vom Mann hat sie sich getrennt, die drei Kinder leben bei ihm. „Seit drei Tagen geht's mir gut“, sagt die kleine, robust wirkende Frau und strahlt die Maatwerkerin an. Die Zeit davor war schlimm, „da bin ich in ein tiefes Loch gefallen.“ Die Abwaschberge standen in der Küche, das Telefon ließ sie klingeln, morgens wachte sie auf und fragte sich: Und nun? „Das kommt eben, weil ich kein Ziel habe“, weiß sie, „ich brauche einfach Arbeit.“

Ursula Rohde hat für sie ein Bewerbungsgespräch bei einer Wäschefirma ausgemacht. Dort wird eine Fahrerin für die Auslieferung gesucht. Gerlinde B. ist gespannt. Fahren würde sie gern, das kann sie, das ist nicht so anstrengend wie die Plackerei als Packerin. Dennoch, sicherheitshalber bleibt sie lieber erst mal pessimistisch. „Ich steh auf Absagen“, meint sie lakonisch. Dann tut's nicht so weh, wenn es schiefgeht.

Die Maatwerkerin wird beim Vorstellungsgespräch dabeisein. Das macht sie immer so. „Aber ich sag dann nicht viel. Das ist ja Ihr Gespräch.“ Gerlinde B. gibt sich selbstbewußt: „Reden kann ich. Sie sind ja nur mein Schutz.“ Bei Frauen wie Gerlinde, weiß Ursula Rohde, „geht das mit dem Alter los.“ Ab 40 wird es immer schwerer, sie zu vermitteln. Bei den Männern ist das nicht anders. Die meisten, denen Maatwerk eine Stelle besorgen konnte, sind zwischen 30 und 40. Doch auch die, die älter sind, haben noch Chancen. Sie machen immerhin rund ein Viertel aller Vermittelten aus.

Ein Grund mag sein, daß die Maatwerker sich jeden Betrieb genau ansehen. Manchmal, so erzählt Ursula Rohde, passe ein 45jähriger von den beruflichen Anforderungen her gut auf eine Stelle. Im Betrieb arbeiten dann jedoch nur jung-dynamische 25jährige. „Das funktioniert schon vom Betriebsklima her nicht.“ Den 45jährigen schickt sie daher gar nicht erst vorbei, „der wäre dort nur unglücklich.“

Sevkije H.

hat solche Erfahrungen gemacht. Seit 22 Jahren lebt die aus dem Kosovo stammende Frau in Hamburg. Vor einigen Jahren trennte sie sich von ihrem Mann, zog mit den drei Söhnen zunächst ins Frauenhaus. Anschließend brauchte sie dringend Arbeit. Eigentlich ist Sevkije Krankenpflegerin. Doch alte Zeugnisse aus dem ehemaligen Jugoslawien fehlen. Das Arbeitsamt vermittelte ihr daher eine Stelle in einer Putzkolonne.

Die Arbeit war für die zierliche Frau sehr anstrengend, ihr Kreislauf spielte verrückt. Wenn sie die Umkleideräume der Fabrikarbeiter putzen mußte, ging es ihr besonders schlecht. „Manchmal duschten dann die Arbeiter da.“ Die Muslimin errötet noch heute, wenn sie daran zurückdenkt.

Inzwischen ist alles anders. Die Kolleginnen sind nett, die Atmosphäre stimmt. „Jetzt habe ich endlich gute Arbeit“, sagt Sevkije. Mit der Hilfe von Maatwerk fand die 43jährige im vorigen November eine Stelle als Stationshelferin in einem Hospiz. Dort arbeitet sie in der Küche, hält Ordnung auf der Station, kümmert sich um die totkranken Patienten. „Zuerst war das schwer mit dem Sterben“, erzählt Sevkije, „es war schwer für meine Seele.“ Angst vor dem Tod hat sie nicht. Der gehört zum neuen Job dazu. Außerdem gehören die Menschen dazu, die sterben. „Die brauchen jemanden“, weiß Sevkije, „und ich bin da.“