Adam auf der Promenade

■ Gerhard-Marcks-Haus zeigt Skulpturen von Stephan Balkenhol / Die Hauptfigur erinnert sich

„Mmmm. Huhu. Hallo. Ich werde jetzt allen meinen Mut aufbringen. Mmmm. Ich werde sie ansprechen. Ich werde sagen: ,Hallo, Mademoiselle Eva im grünen Etuikleid.' Und ich werde sagen: ,Mademoiselle Eva, es ist eine Freude, mit Ihnen zu tanzen, aber wir müssen doch nicht immerfort in dieser angedrehten Promenade verharren.' Und ich werde sagen: ,Achtung, jetzt kommt mal etwas Neues.' Ja. Genau das werde ich sagen.

Ach. Wenn ich es nur einmal sagen würde.

Aber ER hindert mich daran.

Schweigen.

Das Schwein.

Schweigen.

ER hat mich gemacht. Er heißt Stephan Balkenhol. Er ist Bildhauer. Und wie immer ist Nomen gleich Omen. Er ist nämlich Holzbildhauer. Andernfalls hieße er Bronzewohl. Oder Eisenfein. Oder Blechloch. Oder Marmorfix. Oder Rückriem. Mich hat er gemacht aus einem einzigen Stück Holz, und als ich ihn zum ersten Mal sah, hat er geschwitzt, der Herr Schöpfer, der Beitelschwinger, der Herr und Meister, dem ich alles verdanke.

Mit einem dumpfen Dröhnen fing es damals an. Dann kam ein Brummen und Vibrieren – so laut, daß ich fast den Verstand verlor. Für einen Moment konnte ich dann eine Scheibe sehen, die Zähne am Rand hatte und gleich über meinem Kopf vorbeischnitt.

Ich dachte, jetzt geht alles zu Ende. Doch dann war es wieder still. Aber nicht lange. Es kam ein Klopfen. Tak-tak-knirsch. TAK-TAK-knirsch. Es wurde lauter. TAK-TAK-TAK-Knirsch. Es wurde immer lauter. Und es kam immer näher. TAK-TAK-TAK-KNIRSCH. Es war furchtbar. Aber am Schluß war ich frei.

Er wollte mich Adam nennen. Hat er mir gesagt. Und als er mir blaue Augen und schwarze Haare und schwarze Augenbrauen malte, hat er regelrecht auf mich eingeredet. ,Ich habe den Bruch geschafft', hat er gesagt. ,Ich mache jetzt etwas anderes als Rückriem!' Dabei perlte Schweiß auf seiner Stirn. Rückriem sei sein Lehrer gewesen, verriet er mir. Und ich wußte bis dahin gar nicht, daß Schöpfer auch Lehrer haben. Überhaupt hat er seltsame Dinge erzählt. Dinge, die ich nicht gleich verstand. Die reine Abstraktion ist ein Irrweg, glaubte ich zu hören. Und: Wir müssen wieder an die Tradition der figürlichen Plastik anknüpfen! Er zitierte einen gewissen Habermas: Das Projekt der Moderne muß vollendet werden! Er zeigte mir seine Fotosammlung mit Bildern aus Museen, von Schützenfesten, Blaskapellen, Kirchen und redetete sich dabei richtig in Rage. Balkenhol sagte dann noch, wenn ich sprechen könnte, dürfte ich ihn Stephan nennen. Und er werde neben mir noch einen, zwei, viele Adams schaffen. Nie will er eine Feile benutzen, sondern nur Sägen und Beitel, damit die Oberfläche grob bleibt und rauh. Und weil man normalerweise keinen nackten Menschen begegnet, werde er mich in einfache, alltägliche Kleider kleiden. Kleider kleiden! So hat er es gesagt. Und er hat auch gesagt, er werde eine Eva machen und für mich ,Die Abenteuer eines kleinen Mannes in weißem Hemd und schwarzer Hose' erfinden.

All das ist jetzt 16 Jahre her. Und Stephan hat sein Versprechen gehalten. Inzwischen hat er Eva viele dutzend und mich viele hundert Mal gemacht. Klassisch und groß recken wir uns oder leger, mit den Händen in den Hosentaschen. Er läßt uns tanzen oder einfach in die Leere schauen. Und mit mir hatte er noch Besonderes vor: Mal hat er mich unter einen Archytraph gestellt, mal auf eine liegende Säule gesetzt. Mal hat er mich befreit und mal in eine Hundehütte gesperrt. Das alles lasse ich mir gefallen und lache sogar heimlich mit, wenn andere Leute darüber lachen. Selbst wenn er mir eine Möwe auf die Schulter setzt und mich auf einem ziemlich langweiligen Platz in Bremen aufstellt, klage ich nicht. Nur einmal habe ich mich richtig geärgert. Da hat mich Stephan an eine Säule geschmiegt. Wie das aussieht! Als hätte ich ,Sex mit Säulen' oder sowas. Dabei will ich nur eins: Mit Eva im grünen Etuikleid aus dieser angedrehten Promenade heraustanzen. Ich endlich meinen Mut aufbringen. Ich werde sagen ... Schweigen. Ach, wenn ich es nur sagen würde. Das Schwein.“

Aus den Bekenntnissen eines kleinen Mannes mit weißem Hemd und schwarzer Hose.

Aufgeschrieben von Christoph Köster

Stephan Balkenhol „Skulpturen“ bis zum 6. September im Gerhard-Marcks-Haus. Eröffnung: Sonntag, 5. Juli, 11.30 Uhr