Zynische Verzweiflung

Tomatenwürfe und Pressionen der schwedischen Gesellschaft: Mit einer siebenteiligen Retrospektive ehrt das Arsenal die Regisseurin Mai Zetterling  ■ Von Gudrun Holz

Zentraler Schauplatz, das Bett. Glänzende Behänge an den Wänden, kulissenhaft. An der Stirnwand das Lager als monumentale Richtstätte mit vier Pfosten. Matratzenhimmel, Liebesgruft. Der Theaterdonner aber fehlt. Hier residiert die stahlblonde Ingrid Thulin als exzentrische Mutterfigur, Mittelpunkt eines grell kostümierten Hofstaates. Die schwedische Hautevolee feiert den Ausgang der dreißiger Jahre, in Grüppchen, rund um die Bettstatt. Das Weltkriegsgetöse bleibt vor der Tür.

Mit dem scharzweißen Mummenschanz um die sinistre Sonnenkönigin attackierte Mai Zetterling allerdings geradewegs die Selbstisolation der schwedischen Oberschicht ihrer eigenen Gegenwart. „Verschwiegene Spiele“ („Nattlek“, 1966) erzählt äußerlich die Geschichte vom Mann, der ins Haus der Kindertage zurückkehrt. Doch er ist nur Vehikel eines Erinnerungsreigens, der zur Farce gerät. Heute mag er aussehen wie ein öliger Kirk Douglas, damals war er nur der kleine Jan, den die Mama beim Onanieren erwischte.

Da sehen die neuen Feste aus wie die alten. Ob nun transparente Reifröcke durchs Bild tänzeln, bemalte Damenpos oder ein echter Tom of Sweden, was bleibt, ist überlebter Muff unter den schrillen Larven. Bis zum Untergang beim Klang der Nationalhymne ist es da nur ein kleiner Schritt, der buñuelsche Assoziationen knüpft.

Drei Jahre nach Bergmans „Das Schweigen“ (1963) entstanden, überbot Zetterlings Film diesen „Skandalfilm“ noch. Zur Uraufführung beim Filmfestival in Venedig lief er unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Anlaß waren heute absurd wirkende Aufgeregtheiten wegen angeblicher „Inzestszenen“. 200 Polizisten riegelten das Kino ab, Razzien verbannten alle Kameras aus dem Saal.

Positive Stimmen, wie die begeisterte Kritik Susan Sontags oder Simone de Beauvoirs, kamen später. Erst einmal wurde Zetterling wider Willen dem „Frauenfilm“ zugeordnet oder zur verspäteten Bergman-Epigonin erklärt. Wobei bereits ihr erster Spielfilm, „Liebende Paare“ (1964), eindeutig wegen seiner ehekritischen, frühfeministischen Aspekte angegriffen wurde. Die Presse an der Croisette verstieg sich sogar zu der Forderung, alle schwedischen Filme gehörten in die Hände der Zensur.

Zur Regie kam die 1925 geborene Mai Elisabeth Zetterling auf Umwegen. Nach einer komplizierten Kindheit in Australien und im Slum von Stockholm schlägt sie sich als Fabrikarbeiterin durch, fällt in einer Kindertheatertruppe auf, spricht schließlich an der königlichen Schauspielschule mit Szenen aus „Mädchen in Uniform“ vor. Bald schon spielt sie im Film (u.a. in „Frenzy“) mal als fesches, mal als komödiantisches Fräulein.

Sie ist fünfunddreißig, als sie einen „Fünfjahresplan“ macht und mit den Werbeaufnahmen für Luxusseife den Anti-Kriegs-Kurzfilm („Wargames“, 1963) finanziert, der in Venedig einen Goldenen Löwen bekam. Mit dem Wechsel hinter die Kamera waren die Zeiten als „swedish sexpot“, als der sie auch in Hollywood-Produktionen auftauchte, vorbei. Sie führe Regie wie ein Mann, wurde ihr vorgeworfen, was Zetterling selbst in ihrer Autobiographie „All Those Tomorrows“ mit einem seitenlangen Wutausbruch kommentiert. Mit einer siebenteiligen Retrospektive ehrt das Arsenal in Zusammenarbeit mit der Initiative „Blickpilotin e.V.“ jetzt die 1994 gestorbene Regisseurin.

„Die Mädchen“ (1968), eine moderne Lysistrata-Version mit Tomatenwürfen und anderen Rebellionen, war Zetterlings letzter Film in den Sechzigern. Erst 1986 dreht sie wieder einen Film: „Amorosa“. Bald stellen sich, in Farbe gefilmt und mit Einstiegsproblem zu Beginn, die prägenden Motive ein: die Pressionen der schwedischen Gesellschaft, die Exzesse und eine Heldin, die ihre zynische Verzweiflung mit den Worten „Ich sitze immer noch im Kinderzimmer“ formuliert.

Mai-Zetterling-Retro im Arsenal, 4. bis 18. 7. 1998