: Nachkriegsknüller Kleinwohnung
■ Wie originell ist ein Wolldeckenüberwurf? – Im Hamburger Bahnhof zeigt das Kunstgewerbemuseum Architekten als Designer
Eine Kaffeekanne nebst Zuckertopf im Leuchtturm-Gewand von Aldo Rossi, der Stuhl als Sitzsack „Sacco“ oder als Schwanensessel von Arne Jacobsen: Oft waren es Architekten, die den Dingen des Alltags Formen verliehen, die wenig später als Klassiker galten. „Ich begann Gegenstände zu entwerfen. Produkte sind fast sofort überall. Die Tatsache, daß sie zu Zehntausenden von Exemplaren industriell gefertigt werden, ist sehr beflügelnd, denn so kommt man in Kontakt mit der ganzen Welt“, meint zum Beispiel die italienische Designerin Anna Castelli-Ferrieri, die nach dem 2. Weltkrieg erst als Städteplanerin, dann als Architektin arbeitete.
Ob aus wirtschaftlicher Not heraus, als Architekt keine Gelegenheit zum Bauen zu haben, oder weil der einzige akademische Weg zum Design – neben dem Studium der Gebrauchsgrafik – lange Zeit das Architekturstudium war: es gibt viele Möglichkeiten für einen Architekten, zum Design zu kommen. Die Ausstellung „Architekten als Designer“ im Hamburger Bahnhof veranschaulicht die Allianz beider Künste. Sie läßt sich gerade in Berlin von Schinkel und Stüler bis zu Norman Fosters Reichstagsmodell, zu Aldo Rossis Projekt für die Schützenstraße oder der Architektur von Paul Kleihues beobachten. Eigentlich war der Architekt als federführender Planer für Außen- wie Innengestaltung, als Schöpfer eines Gesamtkunstwerks, ein Anspruch aus vorindustrieller Zeit. Die ältesten Stücke der Ausstellung stammen entsprechend aus der Epoche des Klassizismus, die jüngsten pflegen die Postmoderne.
Doch nicht etwa die chronologische oder enzyklopädische Abfolge war das Anliegen der verantwortlichen Kuratorin Barbara Mundt. Sie präsentiert die Materialfülle vielmehr themengebunden: In rund 200 Objekten und Objektgruppen von 120 Architekten entpuppt sich der Baumeister als „Künstler – Handwerker – Fabrikant“, als „Designer“, „Techniker“ oder als „Schüler der Natur“, als „Verfechter des Rationalen“, in „sozialer Mission“ oder auf der Suche nach „Alternativen“.
Sicherlich ist nicht alles, was in der Ausstellung zu sehen ist, wirklich schön und gelungen. Ob wir vielleicht noch zu dicht an den 80er Jahren stehen, um dem klobigen Sessel „Sindbad“ aus dem Jahr 1982 von Vico Magistrelli mit seinen breiten und flachen Seitenlehnen und dem Wolldeckenüberwurf Originalität abgewinnen zu können? Ähnliches mag man angesichts des berühmten Wasserkessels aus dem Hause Alessi empfinden, der den Design-Begriff ja in die Inflation trieb.
Die Highlights sind sicherlich die Entwürfe aus den 50er und 60er Jahren. Geradezu faszinierend nehmen sich die Entwürfe für die sogenannte Kleinwohnung aus – nach dem Krieg sicherlich ein Knüller. Überhaupt hat die Zeit von 1950 bis 1970 die erstaunlichsten Dinge hervorgebracht: wie den kleinen tragbaren Fernseher aus der noch einkanaligen Prä-TV- Phase um 1960 von Marco Zanuso. Selbst die ersten Hi-Fi-Schrankmöbel, die vom Hersteller Braun in Auftrag gegeben wurden, hätte man auch heute wieder gerne in seiner Wohnung.
Ein Großteil der Ausstellung ist den guten, alten Klassikern des 20. Jahrhunderts gewidmet. Nicht ohne Grund: Schließlich findet sich in diversen repräsentativen Gebäuden der Stadt, wie in Banken, Kirchen oder großen Unternehmen weitestgehend Mobiliar, das nach Entwürfen von Architekten entstand. Ob die Biegeholzstühle von Egon Eiermann, die geschwungenen Sitz-Eier von Arne Jacobsen, der Plastic Armchair von Charles Eames oder Verner Pantons Stapelstuhl – ein besonderer Ansporn war den Architekten unseres Jahrhunderts sicherlich der Stuhl. So findet sich Ron Arads türkisfarbener „Soft Little Heavy“-Sessel im Goldenen Saal vom Schloß Charlottenburg, und das Dresdner Bankgebäude von Meinhard von Gerkan schmücken die geschwungenen Barcelona- Sessel von Mies van der Rohe, während der aufblasbare Sessel „Blow“ im pompösen Kriminalgericht von Moabit steht.
Neben den Originalen präsentiert eine Fotoreihe den Stuhl in seinem Ambiente. Schade, daß die Fotos ein wenig marktschreierisch, effektheischend daherkommen – die Stühle als solche hätten das eigentlich nicht nötig. Kirsten Niemann
Bis zum 30. August im Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50/51
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen