Es ist ein merkwürdiges Deutschland

■ Ein Land voller Verrückter, Verbrecher und Verseschmieder. Eine Buchbesprechung

„Frau Wirtin hatte auch ein Kind, das hatte einen krummen Pint. Man wollt' ihn biegen grade, doch als er grade gerade war, da brach er ab – was schade war.“

Wer wissen will, von wem dieser hübsche Reim stammt, kann im „Wegweiser zu den verschwiegenen, geheimnisvollen, kuriosen, zuweilen auch morbiden und makabren Sehenswürdigkeiten Deutschlands“ unter dem Stichwort „Lahnstein“ nachschauen. Es handelt sich um einen eher bekannten deutschen Dichterfürsten, der in dem Orte gastierte und die mittlerweile etwa 750 Strophen des Liedes „Es steht ein Wirtshaus an der Lahn“ um diese Zeilen bereicherte.

Jörg von Uthmann, einstiger Diplomat und derzeit Kulturkorrespondent des Berliner Tagesspiegels in Paris, hat die erste Auflage seines Deutschlandführers bereits 1979 veröffentlicht und jetzt eine um die neuen Bundesländer erweiterte Neuauflage herausgebracht. Eindeutige Vorlieben zeigt er – wie der Titel bereits deutlich macht – für Verbrecher, Verrückte und möglichst verschrobene authentische Vorbilder literarischer Klassiker: Hieronymus von Münchhausen im Städtchen Bodenwerder, der als weitgereister Soldat sich mit dem ländlichen Mief seiner Heimat nicht mehr arrangieren konnte, oder die Giftmischerin Gesche Margarethe Gottfried, die von 1813 bis 1828 nahezu ungestört alle Menschen ermordete, die ihr nicht in den Kram paßten – insgesamt 13.

Von Uthmanns Buch erinnert an die Kuriositätenkabinette der Renaissance, bei denen es in erster Linie darum ging, alles Sammelbare zu sammeln, wenn es nur irgendwie interessant erschien. Ein tieferer Sinn oder gar eine Struktur ist nicht nötig. Das Buch ist alphabetisch nach Ortsnamen geordnet, es liest sich amüsant, die Frage ist nur, wozu ist es gut. Als Reiseführer hat es wenig Nutzen, weil zu den einzelnen Orten nur wenig gesagt wird. Vieles wird nur anzitiert, in die Tiefe geht der Autor kaum. Zum Durchlesen eignet es sich auch nicht recht, weil die Fülle unverbundener Anekdoten schnell in Beliebigkeit endet. Ein Buch fürs ganze Leben also, in dem man alle Jahre einmal nachschlägt, um sich an den Schrulligkeiten deutscher Lande zu ergötzen. Martin Hager

Jörg von Uthmann: „Es steht ein Wirtshaus an der Lahn. Wegweiser zu den verschwiegenen, geheimnisvollen, kuriosen, zuweilen auch morbiden und makabren Sehenswürdigkeiten Deutschlands“. Oesch Verlag, Zürich 1998, 414 Seiten, 39,80 DM