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Projektionsspiel (Eigen-)Liebe

■ n Mit einem gelungenen „Werther!“ endete das „Die Wüste lebt!“-Festival in den Kammerspielen

Die Figurenkonstellation ist ungünstig, die Perspektive verzerrt und das Ende ein schlimmes. Der junge Mann vor der Videokamera läßt trotz-alledem keinen Zweifel daran, wer in seinem Film der Star ist: „Ich! Ich! Ich!“ Wer Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werther als überlebensgroße Liebesgeschichte erinnert, an deren Nicht-Erfüllung der schwärmende Jüngling zugrunde geht, liegt nicht falsch, aber muß differenzieren: Die angebetete Charlotte ist Werther nicht viel mehr als Projektionsfläche. Die große Liebe gilt seiner egozentrischen Seele selbst.

Nicolas Stemann hat die Idee der Liebe als Projektionsspiel ernst genommen. In seiner für das Gostner Hoftheater entstandenen Inszenierung des „größten Egotrips der deutschen Literatur“, stark gekürzt und kurz Werther! betitelt, teilen sich ein Mann und ein Videobeamer die Hauptrolle. Lotte erscheint als weißer Styroporkopf, freigegeben zur Erfindung. „Das reizendste Schauspiel, das ich je gesehen habe“, nennt der junge Intellektuelle sie aus der verurteilten Distanz, da Lotte bereits einem „braven Mann versprochen“; der eigene Film aber reizt mehr. Immer wieder kann Werther sich sein glücksverzerrtes Gesicht angucken, das eine Kamera live auf die große Leinwand überträgt und im Moment der Ekstase einfriert, ganz benommen von der eigenen Pose entfährt es ihm: „Wie ich mich anbete, seit ich weiß, wie sie mich liebt!“ Und schon wächst zwischen seinen Beinen ein Neonpenis.

Die Frage, wie ernst man die selbstaufgeberische Schwärmerei des Werther gut 200 Jahre nach Erscheinen von Goethes Romans der Empfindsamkeit nehmen sollte, beantworten Stemann und sein Dramaturg Bernd Stegemann eindeutig: wenig. Sein überbordendes, „närrisches Gefühl“ übersetzen sie in eine Pappnase unterm Schlapphut, der gelobte Dunst über den Wiesen ist Zigarettenrauch. Doch die Posen der Eitelkeit, auch das wird deutlich, sind noch brandaktuell: Als Marlboro-Mann oder TV-Kochstudiogastgeber bespiegelt Werther den eigenen Auftritt großformatig.

Die Videoaufnahmen sind dabei nicht genial, aber durchaus sinnvoll eingesetzt. Während sie anfangs eher eine 1:1-Übersetzung der Geschichte bieten – der Blumenstrauß wird auf der Leinwand schnell zur Wiese – entfernen sie sich von der puren Illustration mit der gleichen Nachhaltigkeit wie der Schauspieler von der vor ihm liegenden Reclam-Ausgabe des Textes. Philipp Hochmair gelingt eine überraschend natürliche Darstellung Wer-thers, dessen Selbstmord am Ende zwar keine Tränen beschwört, der aber in kurzen, wahren Momenten der Liebe und auch in den langen Sequenzen der Selbstverliebtheit und Verlorenheit durchaus ernstzunehmen bleibt.

Mit Werther! endete nach 10 Tagen das 3. Festival junger Regisseure und Schauspieler Die Wüste lebt! in den Kammerspielen. Acht Hamburger Theaterproduktionen und ein Film wurden gezeigt, denen es mit eigenwilligen Interpretationen klassischer Stoffe oder moderner Klassiker gelang, das Haus trotz Fußballweltmeisterschaftzu füllen. Und das mit Grund: Fehlte den Produktionen auch – was in der Natur eines Nachwuchsfestivals liegt – die Perfek-tion, hatten doch fast alle einen spezifischen Ansatz, der das ebenfalls vorwiegend junge Publikum etwas anging. Das klingt nicht nach viel, ist aber eine Menge. Und definitiv mehr, als eine Reihe konservativer Kritiker dem Nachwuchs zutraut.

Christiane Kühl

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