Die Brotdose des Sprinters Von Ralf Sotscheck

Englische Gerichtssäle sind immer für Unterhaltung gut. Neulich wurde die Klage des Goldmedaillen-Sprinters Linford Christie vor dem Londoner High Court verhandelt. Der schwarze Läufer hatte einen gewissen John McVicar verklagt, der wegen bewaffneten Raubüberfalls vorübergehend im Gefängnis saß, 1968 aber ausbrach und der meistgesuchte Mann Großbritanniens war, bis er wieder eingefangen wurde.

Vor zweieinhalb Jahren hatte McVicar einen Artikel für das Satiremagazin Spiked geschrieben. Darin behauptete er, daß Christie verdächtig spät in seinem Sprinterleben von einer ungelenken Bohnenstange zum Kraftwerk mutiert sei, was McVicar auf bestimmte Mittelchen zurückführte – mit anderen Worten: Christie sei bis zur Halskrause gedopt gewesen, als er die olympische Goldmedaille gewann. Das ist für die Zeitschrift freilich schwer nachzuweisen. Genauso schwer ist es allerdings für Christie, Schadenersatz aus dem Blatt herauszuholen, denn Spiked ist längst pleite. Kein Wunder, zielte man doch mit Pennälerwitzen auf den Erwachsenenmarkt.

Doch zurück zum Prozeß. Richter Popplewell hatte die Verhandlung noch gar nicht richtig eröffnet, als Christie beim Anblick der Presse die Nerven verlor. Er schrie den verblüfften Richter an: „Die Reporter reden über Linford Christies Lunchbox. Ich mag das nicht, es ist ein Vorurteil. Aber je mehr man erklärt, daß man das nicht mag, desto öfter drucken sie es.“ Richter Popplewell vermutete, er sei im falschen Gerichtssaal und begann, hastig in seinen Unterlagen zu wühlen. Schließlich fragte er Christie, was es denn mit dieser Brotdose, englisch Lunchbox, auf sich habe? „Sie meinen damit meine Genitalien, Euer Ehren“, jammerte der Sprinter. „Ich finde das widerlich.“ McVicar unterbrach ihn: „Aber du machst doch Reklame für Bananen, oder?“

Nun waren die Zuschauer nicht mehr zu halten. Im Gerichtssaal ging es zu wie im Komödienstadel, der 70jährige Richter bereute längst, daß er nicht rechtzeitig in Pension gegangen war. Linford Christie hatte an dem Thema dagegen Gefallen gefunden und setzte zum Endspurt an. Er hüpfte auf und ab, wetterte gegen sexuelle Diskriminierung im allgemeinen und brüllte: „Niemand spricht von den Titten der Hürdenläuferin Sally Gunnell, Euer Ehren, oder von ähnlichen Dingen. Nur ich werde diskriminiert. Das ist widerlich! Wi-der-lich!“

Christie enthüllte, daß er mit lukrativen Angeboten für Werbeverträge überhäuft werde: „Aber die Firmen wollen immer nur das eine: Sie wollen Brotdosen herstellen und sie ,Linford Christies Lunchbox‘ nennen.“ Er habe stets abgelehnt – nutzlos: „Die Leute fragen mich ständig, wie groß mein Schwanz sei, und ich antworte: Sähe ihn deine Freundin, würde sie dich verlassen.“ Dabei streckte er die Arme aus so weit er konnte. Nun war endlich auch der Richter im Bilde, und er hatte die Hoffnung auf einen ordnungsgemäßen Prozeß noch nicht gänzlich fahren lassen. Ob man denn endlich zum eigentlichen Verleumdungsfall kommen könne? Sei Christie bereit, eine Urinprobe abzuliefern, damit man der Sache auf den Grund gehen könne? „Jederzeit“, antwortete der Sprinter, „aber nur, wenn ich mich nicht ausziehen muß und ein Fremder meine Lunchbox anstarrt.“