Und dich und dich

■ Für den Menschheitsfortschritt höchst nützlich gemacht: Zum 100. Geburtstag des Komponisten und Kommunisten Hanns Eisler

Welch ein Wunschtraum der Intellektuellen: noch einmal gebraucht zu werden. Sie fühlten sich gerufen: „Wollen wir es schnell erreichen, brauchen wir noch dich und dich“, heißt es in einem der bekanntesten Lieder von Hanns Eisler, das dieser nach einem Text des Freundes Bertolt Brecht schrieb. Nützlich zu sein, und das auch noch für den Menschheitsfortschritt: Hanns Eisler lebte und arbeitete für diese Idee.

Freilich erscheint die gute Sache von einst heute nicht mehr so ungebrochen und positiv. Vieles, was ihr zugeschrieben wurde, klingt den jetzigen Ohren zumindest wie ein ferner Klang. Der Soundtrack zum Film „Kuhle Wampe“ von 1931 zum Beispiel, aus dem der Komponist selbst das „Solidaritätslied“ herausfilterte, mag sogar ziemlich heftig mißtönen. Dieser verschrammte, widerborstige Sound zu einem modernen Montage-Kunstwerk, das einst scharfer Zensur ausgesetzt war, mutet an wie die Legende aus einer Zeit, die längst vergangen ist.

Es ist, als winke da das umfunktionierte deutsche Lied einen Abschiedsgruß – doch nicht mit uralter Weise und der weißen Märchenhand des verspäteten Romantikers Heinrich Heine, sondern aus dem Willen zu einem noch einmal neuen Lied und mit roter Arbeiterfaust.

Freilich waren es zum wenigsten die proletarischen Massen, die solche Lieder schmetterten, als sie in den sechziger Jahren zu respektablen leinengebundenen Notenbänden geworden waren. Eher berauschte sich eine junge Intelligenz in nostalgischen Anflügen an der Erbschaft jener als heroisch angesehenen Klassenkampfzeit: „Vorwärts, und nicht vergessen“.

Das Lied, einbegriffen der Song, dieses große Kontingent von mehr als sechshundert Gesängen der verschiedensten Art und der unterschiedlichsten Intonationen, macht die eine Hälfte des Lebenswerks von Hanns Eisler aus, der (heute) vor hundert Jahren, am 6. Juli 1898, in Leipzig geboren wurde. Vielleicht war ihm bereits an der Wiege gesungen, daß er sich so schwerpunktmäßig der Sache der Arbeiter annehmen sollte. Wie seine beiden älteren Geschwister: der nachmals als kommunistischer Funktionär in Deutschland und Amerika tätige Bruder Gerhart – und die Schwester, Mitbegründerin der KPÖ unter dem Namen Friedländer, die sich als Ruth Fischer Anfang der zwanziger Jahre in Berlin linksradikal profilierte und als Vorsitzende der KPD bis 1924 die Partei auf die KPdSU hin ausrichtete, dann als Opponentin gegen Stalins Politik in Moskau sistiert wurde, nach Berlin fliehen konnte, 1933 nach Paris und 1940 in die USA emigrierte, wo sie vor dem „Komitee zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit“ gegen ihre Brüder aussagte. Der kleine Bruder hämmerte der großen Schwester dafür den roten Schlager in die Ohren: „Unsere Herrn, wer sie auch seien, sehen unsre Zwietracht gern“.

Früh hat wohl die Mutter, Tochter eines Fleischergesellen und stolz auf die proletarische Herkunft, das Stichwort vom Lob des Sozialismus intoniert: „Er ist das Einfache, das schwer zu machen ist“. 1901 siedelten die Eislers von Leipzig nach Wien um. Der Jüngste wurde „im Sinne der Wiener Musikalität begabt“ (Georg Eisler). Er lernte die Arbeiterbewegung in der Hauptstadt des Vielvölkerstaates kennen, begann mit Arbeiterchören zu arbeiten. Er avancierte zum Wiener Komponisten (und behielt bis zum Tode die österreichische Staatsbürgerschaft).

Eislers Vater brachte es als Philosoph und Privatgelehrter nicht zu Reichtümern. Der Haushalt konnte sich das in besseren Kreisen obligate Klavier nicht leisten, nur zeitweise ein Miet-Instrument. So gewöhnte sich der junge Hanns, der schon in der Gymnasialzeit zu komponieren begann, an das Erfinden und Ausarbeiten von Musik ohne Klavier. Diese Fähigkeit kam ihm in seinem bewegten Leben sehr zustattten: Viele seiner Stücke entstanden unterwegs in Hotelzimmern und Wartesälen, in Zügen oder Restaurants.

Wie viele junge Männer seiner Generation, so machte der Erste Weltkrieg auch Hanns Eisler, der zweimal an der Front verwundet wurde, zu einem entschiedenen Gegner des Militärwesens und der Völkerschlachten. Zurück in Wien, entflammte er nicht nur für die Revolution, sondern mehr noch für die Sache einer neuen Musik für eine neue Epoche. Ein bißchen Geld verdiente er erst einmal als Korrektor bei der Universal Edition. Arnold Schönberg, der viel von seinem Talent hielt, gab ihm vier Jahre lang unentgeltlich Privatunterricht und betreute Werke wie die frühen Klaviersonaten. Dem Meister, so schrieb Hanns Eisler später, verdanke er die „Redlichkeit und die Verantwortlichkeit in der Musik und das Fehlen von jeder Angeberei“. Freilich kam es, notwendigerweise, wegen der divergierenden politischen Anschauungen erst einmal zum Bruch mit Schönberg. Beide – Lehrer wie das Nesthäkchen unter den Schülern – zogen nach Berlin. Und Hanns stürzte sich in das Getümmel der Klassenkämpfe, die – wenn nicht eine neue Welt und neue Menschen, so doch wenigstens – eine neue Republik bringen sollte.

Eisler lieferte den „Roten Wedding“ ab und zog mit Agitproptrupps durch Kneipen-Hinterzimmer. Zugleich avancierte er als Theater-Komponist und -Pianist: 1927 schrieb er die Bühnenmusik zu Franz Jungs „Heimweh“, 1928 zu Feuchtwangers „Kalkutta“. 1929 zu Walter Mehrings „Kaufmann von Berlin“, 1930 zu den „Letzten Tagen der Menschheit“ von Karl Kraus und zu Bertolt Brechts „Maßnahme“. So begründete sich eine lange, von heftiger Zuneigung und kräftigen Auseinandersetzungen nicht freie Zusammenarbeit, der eine ganze Menge Balladen-Musik und Songs entsprangen, Männerchöre und – im Exil – ernste Gesänge. Vor allem auch die Kantate „Die Mutter“ nach Maxim Gorki, op. 25, begonnen 1931. Sie darf als Vorstufe zur Bemeisterung der großen Form angesehen werden, die mit Eislers Hauptwerk, der zwischen 1935 und 1939 an verschiedenen Fluchtpunkten entstandenen „Deutschen Sinfonie“, geleistet wurde.

In den dreißiger Jahren wechselte, wie Freund Bert sagte, auch Hanns Eisler auf der Flucht vor den Nazis die Länder häufiger als die Schuhe. Er versuchte in Straßburg und im böhmischen Reichenberg die Arbeitersänger zu organisieren, reiste nach Moskau und immer wieder nach Paris und London oder zu Brecht nach Dänemark, versah eine Gastprofessur in New York und war als Pädagoge in Mexiko tätig, fuhr zur Ermunterung der Kämpfer an die Front im Spanischen Bürgerkrieg und wieder in die USA, wo er zusammen mit Theoder W. Adorno ein Filmmusik-Buch schrieb und eine größerer Anzahl von Film-Partituren. Aus diesen Arbeiten verselbständigten sich wichtige Partien zu Kammermusik.

Stücke wie „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“, überhaupt die in der zwangsverordneten Ruhe Kaliforniens entstandene Kammermusik, gehören wohl zu jenem Teil des Eislerschen ×uvres, der sich perspektivisch als der haltbarste erweisen dürfte. 1948 wurde Eisler nach Verhören durch das „unamerikanische Komitee“ aus den USA ausgewiesen. Über Prag und Wien kam er nach Ost-Berlin, gelangte zu Ehren und einer Professur, auch zum Nationalpreis I. Klasse der DDR. Aber daß er in der neuen Heimat, der er die Musik zur Hymne bescherte, hätte wirken können, wie er es für notwendig hielt, läßt sich nicht behaupten. Er blieb ein bemerkenswert kritischer Kopf – und sagte seine Meinung auch halblaut. Die Tucholsky-Vertonungen mit ihrer Sehnsucht nach dem Pariser Boulevard und dem leisen Schauder vor Berlin-Weißensee, mit der heiteren Tschaikowsky-Parodie der „Ollen Kamellen“ und dem auf den Trompeter von Säckingen gestützten „Revolutions-Rückblick“ enthalten so manche Perle. Hanns Eisler blieb mit Liedern wie dem vom „Schlimmsten Feind“ (und das ist nach Tucholsky der von der Macht korrumpierte Funktionär), mit den „Ernsten Gesängen“ und den Interviews, die er um 1960 gab, auch in der DDR ein unbequemer Zeitgenosse. Nach allen Brüchen und Umbrüchen der Geschichte taucht er heute im musikalischen Bewußtsein wieder auf: als Repräsentant des linken Flügels in der deutschen Musik des 20. Jahrhunderts. Ganz außen. Frieder Reininghaus