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Václav Klaus tendiert plötzlich nach links

In Prag zeichnet sich eine sozialdemokratische Minderheitsregierung ab – mit Tolerierung durch den ODS-Chef  ■ Aus Prag Sabine Herre

Am letzten Tag des Wahlkampfes in Tschechien ließ der gestürzte Ministerpräsident Václav Klaus im ganzen Land Flugblätter verteilen: „Ich rufe alle auf, die in Freiheit leben wollen! Ich rufe alle auf, denen das Schicksal unseres Landes nicht gleichgültig ist! Heute fällt die Entscheidung! Morgen ist es zu spät! Wählt die ODS! Mobilisierung! Nach links oder mit Klaus!“

Keine drei Wochen später geht es mit Václav Klaus nach links. Nach nur zwei Verhandlungsrunden war der Vorsitzende der neoliberalen „Demokratischen Bürgerpartei“ (ODS) mit dem designierten Ministerpräsidenten Milos Zeman handelseinig. Die tschechischen Sozialdemokraten bilden eine Minderheitsregierung, die von der ODS toleriert wird. „Unser Ziel ist eine stabile Regierung“, tönte es am Freitag nachmittag von beiden Seiten. Und tatsächlich: Selbst wenn einige ODS-Abgeordente die Wende ihres Vorsitzenden Klaus nicht mitmachen, kann Sozialdemokrat Zeman im tschechischen Parlament über eine Zweidrittelmehrheit verfügen.

Nur einen Tag zuvor war die von den Sozialdemokraten angestrebte Koalition mit den Christdemokraten von Josef Lux und der Freiheitsunion des ehemaligen Dissidenten Jan Ruml endgültig gescheitert. Und das, obwohl Zeman nicht zuletzt auf Drängen von Präsident Václav Havel Ruml unerwartet weit entgegengekommen war. Doch Ruml blieb hart: Bereits während des Wahlkampfes habe er gesagt, daß er „niemals“ eine sozialdemokratische Regierung auch nur tolerieren würde.

Václav Klaus hatte da weniger Skrupel. Nur wenige Stunden, bevor er sich mit Zeman zum entscheidenden Gespräch traf, hatte er für eine Neuauflage einer konservativen Regierung mit den Christdemokraten und der Freiheitsunion Bedingungen gestellt, die für die beiden kleinen Parteien eigentlich unannehmbar waren. Wichtigster Punkt: Während Ruml forderte, daß die ODS nur genauso viele Minister stellen darf, wie die anderen beiden zusammen, klagte Klaus die Verteilung der Ämter entsprechend dem Wahlergebnis ein. Die Minister der ODS hätten ihre Kollegen so bei jedem Streitpunkt überstimmen können.

Wie sehr Klaus inzwischen auf das Modell der Tolerieung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung setzt, macht eine weitere Forderung an die alten Koalitionspartner deutlich: Während er von ihnen die Aufstellung eines ausgeglichenen Haushalts und ein Bekenntnis zu einer Marktwirtschaft ohne (das soziale) Adjektiv verlangt, tauchen solche Ziele in dem angestrebten „Vertrag“ mit den Sozialdemokraten erst gar nicht auf.

Statt dessen soll es um Grundsätzlicheres wie ein Modell für das künftige Funktionieren der tschechischen Demokratie gehen. So wie die ODS nun die sozialdemokratische CSSD toleriert, könnte in vier Jahren auch die CSSD die ODS tolerieren, meint die stellvertretende ODS-Vorsitzende Libuse Benesova. Nach bisherigen Überlegungen wird die ODS sich vielleicht schon morgen schriftlich bereit erklären, in der ganzen Legislaturperiode kein Mißtrauensvotum gegen die Regierung einzubringen. Im Gegenzug dürfte sie das Angebot erhalten, einige Staatssekretäre zu stellen.

Angestrebt wird auch eine schnelle Änderung der Verfassung, wobei es vor allem um zwei Punkte geht. Die bisher gültige Fünfprozenthürde für den Einzug ins Parlament soll auf sieben oder gar zehn Prozent angehoben werden, und der Staatspräsident in Zukunft nicht mehr vom Parlament, sondern vom Volk gewählt werden. Und so ganz nebenbei wird dann bekannt, daß Václav Klaus dieses Amt bei den nächsten Wahlen im Jahr 2003 anstrebt.

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