Krach kostet nicht nur Nerven

Wiener Studie: Gesundheitliche Belastungen durch Autolärm könnten in fünf Jahren halbiert werden. Teuer wird die Reduzierung bei Luft- und Schienenverkehr  ■ Von Andreas Grote

Berlin (taz) – Verkehrslärm ist die bedeutendste Lärmquelle in Deutschland. Zwei von drei Personen mit Verkehrsbelastungen im Wohnumfeld fühlen sich vom Straßenlärm, jeder zweite vom Flugverkehrslärm und immer noch jeder fünfte vom Schienenverkehrslärm belästigt.

Die Technische Universität (TU) zu Wien hat in ihrem dreijährigen Forschungsprojekt „Lärmarme Straßen“ nun erstmals ein umfangreiches Lösungspaket erstellt, das den Verkehrslärm auf der Straße in bemerkenswertem Maße vermindern würde. „Könnten wir den Verkehrslärm um sechs Dezibel reduzieren“, so Projektleiter Hans-Peter Lenz, „würden wir ihn nur noch halb so laut empfinden. Eine Verringerung um nur vier Dezibel bedeutet immerhin ein Viertel weniger Lärm.“

Erreichen ließe sich dies allerdings nur durch eine Optimierung des Gesamtsystems: Lärmarme Reifen, Dünnschicht-Drainage- Asphalt und konstruktionstechnische Maßnahmen am Fahrzeug könnten den subjektiven Lärm eines vorbeifahrenden Pkw von derzeit 74,3 auf 68,8 Dezibel [dB(A)], beim Lkw von 82,6 auf 76,9 dB(A) senken. „Diese Maßnahmen am Fahrzeug bedeuten keine dramatische Preiserhöhung“, sagt Ernst Pucher, Professor an der TU. Auch der verschleißbedingte Austausch der Asphaltdecken erzeuge keine nennenswerten Mehrkosten. Trotzdem rechnen die österreichischen Wissenschaftler damit, daß frühestens in fünf Jahren einzelne Straßenzüge lärmarm sein werden.

Zahlreiche vorausgegangene Studien beweisen, daß Verkehrslärm bei weitem kein unbedeutender Risikofaktor mehr ist. Er kann die Konzentration stören, Schlafstörungen verursachen und so neben der Lebensqualität auch die Produktivität verschlechtern. Die Folge sind Herz-, Kreislauf-, Magen-, Darm- und Atmungsstörungen und Bluthochdruckerkrankungen. Schon ein mittlerer Verkehrslärm von 65 dB(A) erhöht die Herzinfarktrate von Männern zwischen 40 und 60 Jahren um zehn bis zwanzig Prozent. Etwa zwei Prozent aller Herzinfarkte gehen bereits auf das Konto von Verkehrslärm.

Das betrifft aber nicht nur die Straße. So ist der holländische Gesundheitsrat davon überzeugt, daß Lärm durch Verkehr auf der Straße und in der Luft das gleiche gesundheitliche Risikopotential besitzt.

Um diese Risiken zu vermindern, müssen die Volkswirtschaften erhebliche Finanzmittel aufbringen. Allein für die Lärmvermeidungskosten wie dreifachverglaste Fenster, Lärmschutzwände oder Entwicklung von ruhigeren Motoren, Reifen und Straßenbelägen, errechnete das Umweltbundesamt einen jährlich aufzuwendenden Betrag von rund 15 Milliarden Mark als Mindestgrenze. Auf den Schienenverkehr entfallen etwa 30 Prozent dieser Kosten. Damit könnte die Lärmemissionen in erster Linie von Güterzügen um bis zu 10 dB(A) mindern – das entspräche einer Verkehrsmengenreduzierung auf ein Zehntel.

Hinzu kommen kurative Ausgaben. So schätzt das Umweltbundesamt (UBA) die Behandlungskosten, die aufgrund von durch den Straßenverkehrslärm bedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen entstehen, auf jährlich zwischen 0,9 und 3,6 Milliarden Mark. Hinzu kämen noch lärmbedingte Produktivitätsverluste, die jedoch nicht zu beziffern sind, weil es keine umfassenden, ordentlich geführten Lärmstatistiken gibt.

Eine objektive Basis für Verkehrslärm zu finden scheint aber ohnehin nicht ganz einfach zu sein, nicht zuletzt deshalb, weil Einwohner von südeuropäischen Ländern bereit sind, höheren Verkehrslärm zu akzeptieren, während in den skandinavischen Regionen die Sensibilität für Lärm viel höher ist. Um wenigstens einen Mindeststandard für das Wohnen zu schaffen, fordert das UBA durchschnittliche Außenwerte unter 65 dB(A) tagsüber und unter 55 dB(A) nachts. „Erst dann ist davon auszugehen, daß keine erhöhten gesundheitlichen Risiken vorliegen.“ Doch 16 Prozent der Bundesbürger wohnen in Gegenden mit höheren Lärmpegeln. Zehn Prozent der Fläche der Bundesrepublik ist tagsüber grundsätzlich mit mehr als 60 dB(A) belastet. Für Anwohner stellt sich Ruhe nur bei geschlossenem Fenster ein. „Bei Straßen, auf denen am Tag 20.000 Pkws und mehr fahren, gibt es keine einfache Lösung.“

Ginge es nach dem Verkehrsclub Deutschland, dann müßte die Finanzierung dieser Maßnahmen über das Verursacherprinzip laufen, eine Lärmabgabe, die auch über einen Zuschlag auf den Treibstoffpreis zu entrichten wäre und fünf Pfennige pro Liter Treibstoff ausmachen würde.