Der letzte Anarchist Von Karl Wegmann

Restaurants mit einem Wir-müssen-leider-draußen-bleiben-Schild im Fenster betrete ich nie, empfehle sie aber weiter – und zwar meinen Freunden von der Sprayerfraktion. Da, wo Köterfeinde ihre Hausecke mit selbstgebastelten Sprüchen à la „Hier ist kein Hundeklo“ verzieren, fordere ich die Töle sofort zum kleinen, gerne aber auch großen Geschäft auf. Nach erfolgreichem Abschluß gibt's ein Leckerli.

Amtliche Befehle wie „Hunde sind an der Leine zu führen“ kann ich selbstverständlich auch nicht befolgen. Ich bin kein Führer. Kaum erblickt, wird der Stinker auch schon ausgeklinkt. Fröhlich pinkelt er Grabsteine an, setzt einen dampfenden Haufen direkt neben das „ewige Licht“ vor dem Kriegerdenkmal und buddelt sich anschließend mit großer Leidenschaft durchs akkurat angelegte Tulpenbeet. Mein Hund ist der letzte Anarchist. Er hat nicht den geringsten Respekt vor der wohlgeordneten, menschlichen Welt. Dort, wo die Herrschaft der Zweibeiner nicht sichtbar ist, benimmt er sich anders. Er würde nie auf die Idee kommen, auf einen Trampelpfad im Wald zu scheißen. Da geht er ins tiefe Unterholz und versteckt seine Hinterlassenschaft. Er ist zwar nicht so schlau wie der große französische Hund Kador, der bekanntlich mit seiner „Fönbürste Babyliss Super 1000 und ihren vier Aufsteckteilen“ alles machen kann, was er nur will, und der Kant gelesen hat und Schopenhauer – trotzdem weiß mein Hund ganz genau, was er will und was er mag.

Manipulieren, also erziehen, läßt er sich nicht. Seit Jahr und Tag versuche ich zum Beispiel, meinen Haß auf Jogger auf ihn zu übertragen, funktioniert nicht, Jogger interessieren ihn nicht die Bohne. Dabei sind sie nun wirklich das letzte. Man geht gemütlich durch einen öffentlichen Park und schon kommt einer angetrabt. Gut einen Meter vor mir bremst er. „Wir Läufer“, hebt er an und läßt es klingen wie „Wir Nobelpreisträger“, „wir haben ein Problem mit euch Hundehaltern“. Die alte Platte. „Ach, was“, sage ich und grinse. Das mögen sie nicht. „Oh, ja“, sagt er, „und das wißt ihr auch ganz genau, dies ist eine öffentliche Grünanlage und hier sind Hunde an der Leine zu führen.“

Natürlich hat dieser prachtvolle Sportsmann in seinen Designer- Jogginghosen und seinen 500-Mark-Laufschuhen schlicht und einfach Angst vor Hunden. Wahrscheinlich ein frühkindliches Trauma, Dackel Waldi hat ihm vielleicht seine Rassel zerkaut, irgend etwas in der Richtung. Ich grinse ihn weiter an, schüttele den Kopf und sage: „Kaum zu glauben, so ein junger, durchtrainierter, zwei Meter langer Körper mit einer geschmackvollen Dreiviertelglatze hat Schiß vor einem zwanzig Zentimeter großen Hund.“ – „Das hat mit Angst nicht das geringste zu tun“, erwidert er böse, weil ihn der Hinweis aufs fehlende Haupthaar auf die Palme treibt, „freilaufende Hunde stören einfach unseren Laufrhythmus.“ – „Oh, mein Gott, ich hatte ja keine Ahnung, ich bitte um Vergebung.“

Jetzt will er mir am liebsten eine reinhauen, aber da ist noch mein Hund. Der gähnt zwar gerade, aber Herr Läufer interpretiert das als Drohgebärde. Also flucht er und galoppiert in die andere Richtung. Glück gehabt. Denn mein Hund ist zwar Anarchist, aber einen Angriff auf seinen Rudelchef hätte er nie und nimmer verziehen.