Eine zähe Erfolgsstory

Die Berliner Europaschule hat sich etabliert. An zwölf Grundschulen wird zweisprachig gelernt. Und doch müssen ausländische Lehrkräfte weiter nach Billigtarif arbeiten  ■ Von Edith Kresta

Berlin (taz) – Sie lernen eine Fremdsprache schon ab der Vorklasse. Seit 1992 unterrichten Berliner Grundschulen ihre Schüler in zwei Sprachen. Zunächst war es entweder Englisch, Russisch oder Französisch, die Sprachen der Alliierten, die in den Europaschulen gesprochen wurden. Inzwischen ist die Mischung bunter: Spanisch, Italienisch, Türkisch, Griechisch, Portugiesisch und, ab diesem Jahr, auch Polnisch können Kinder ab sechs Jahren parallel zum Deutschen lernen.

An dem Modellversuch nehmen 12 Schulen teil. 2.000 SchülerInnen sind es, die sich in den Klassen je zur Hälfte in deutsch- und fremdsprachige Kinder aufteilen. Das ABC wird ihnen in ihrer jeweiligen Muttersprache beigebracht. An einem Fach wie Sachkunde nehmen alle bilingualen Kinder in der jeweiligen Partnersprache teil. Mathematik gibt's für alle auf deutsch. So soll schon in der Primärstufe „spielerisch“ eine andere Sprache erlernt werden.

Dazu müssen Kinder nicht in einen Diplomatenhaushalt hineingeboren sein. Die Berliner Europaschulen stehen jedem offen. Sie sind nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen Schulen der Europäischen Union, wie es sie etwa in München oder Karlsruhe gibt. Dort legen vornehmlich Beamtenkinder eine Art Europa-Abitur ab, das aus einer Mischung der Curricula der Mitgliedsstaaten besteht.

Die Europaschulen sind ein Modellversuch und noch unausgegoren in ihrer Konzeption. Die Eltern lassen sich auf ein Experiment ein. Nur durch die Einsatzbereitschaft von Vätern und Müttern hat das staatliche Angebot zweisprachigen Unterrichts seine Ecken, Kanten und Ungereimtheiten verloren. „Das Projekt hangelt sich von Jahr zu Jahr. Bislang mußte alles hart erkämpft werden“, weiß die Elternvertreterin Bettina Zydatiß. Kleine und größere Erfolge des Projekts mußten der Schulbürokratie stets mit zähem Einsatz abgerungen werden. Dazu zählt auch die Einrichtung neuer Europaschulen, für Türkisch oder Griechisch, die von Eltern und nicht aus der Schulbehörde heraus angestoßen wurden.

Einige Unsicherheiten und Schwächen des Projekts sind inzwischen abgebaut. So erhalten ausländische Lehrer nun, anders als am Anfang, nicht mehr nur zeitlich befristete Verträge. Das alljährliche Bangen um Wiedereinstellung hat so ein Ende. Auch die jahrelang umstrittene Nachmittagsbetreuung – für berufstätige Eltern unentbehrlich – ist inzwischen Pflicht. Bislang hatten Eltern dafür keine Garantie – obwohl der „spielerische“ Spracherwerb am Nachmittag Teil des ursprünglichen Konzepts war. Am schwersten wiegt, daß ausgearbeitete Curricula für den zweisprachigen Unterricht nicht vorhanden sind. Lernerfolg und -spaß sind so, mehr noch als an normalen Schulen, von der Kreativität und Einsatzbereitschaft des jeweiligen Lehrers abhängig.

Die Europaschule ist die zögerliche Erfolgsstory eines staatlichen Prestigeprojekts. Erst durch das Engagement der Eltern, die die vagen politischen Willensbekundungen einklagten, kam das Projekt wirklich voran. Dabei entspricht es doch ganz den Vorstellungen von CDU und SPD, die in ihrem Koalitionsvertrag die Berliner Schullandschaft „durch Vielfalt, Toleranz, Weltoffenheit und Gastfreundschaft“ ausgezeichnet sehen. Vor allem den Punkt Gastfreundschaft monieren ausländische Lehrkräfte. Sie fühlen sich diskriminiert. „Die europäische Metropole Berlin degradiert ausländische Lehrer zu Lehrkräften zweiter Klasse“, beschreibt der GEW-Vorsitzende Erhard Laube das Problem: Lehrer anderer Muttersprache arbeiten zum Billigtarif – sie verdienen bis zu 3.000 Mark weniger als deutsche.

Nach europäischem Recht müssen die Mitgliedsstaaten sicherstellen, daß die akademischen Abschlüsse überall gelten. Die Schulbürokratie aber schafft es immer wieder durch Spitzfindigkeiten, die Gleichwertigkeit nichtdeutscher Lehrerabschlüsse zu hintertreiben. In mehreren Fällen sind daher Klagen gegen die Diskriminierung ausländischer Lehrer in Berlins Europaschulen vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig – aber noch nicht entschieden. Die Schulverwaltung löst das Problem auf ihre Weise. „Freuen Sie sich, daß Sie überhaupt eine Stelle haben“, müssen sich ausländische LehrerInnen übers schlechte Gehalt hinwegtrösten lassen.