Schmutzige Computerwelt

Immer wieder wird behauptet, die Computerrevolution schone durch papierlose Büros und Telearbeit die Umwelt – doch das ist falsch, belegt eine neue Studie  ■ Von Niels Boeing

Berlin (taz) – In diesem Jahr werden weltweit erstmals mehr Personal Computer als Fernsehgeräte verkauft werden. Rund 100 Millionen Stück sollen es sein. Damit ist klar: Der Informationsgesellschaft gehört nicht die Zukunft, sie ist schon da. Daß sie nicht nur Lifestyle und Wirtschaftswachstum verbessert, sondern mit papierlosen Büros und Telearbeit auch zu einer nachhaltigen – also langfristig ressourcenschonenden – Entwicklung beiträgt, wird gern behauptet. Doch das ist falsch, wie das Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) nun ermittelt hat. Von alleine wird die Informationsgesellschaft nicht grüner als ihre Vorgängerin werden, so das Fazit der Studie „Innovationen zur Nachhaltigkeit“ im Auftrag der Enquetekommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“.

Es fehlen die Anreize. „Auf den großen Messen wie Funkausstellung oder CeBIT wird über Nachhaltigkeit kein Wort verloren“, beklagt IZT-Chef Rolf Kreibich. Dort geht es darum, den Absatz zu steigern. Mit dem Ergebnis, daß die Informations- und Kommunikationstechnik (IuK), der die Entstehung der Informationsgesellschaft zu verdanken ist, bislang dieselben Müllberge produziert wie andere Branchen auch. Von den jährlich 1,4 Millionen Tonnen Elektronikschrott stammen ein Drittel aus der Unterhaltungselektronik und 100.000 Tonnen aus der Informationstechnik.

Extrem kurze Innovationszyklen lassen diesen Berg alljährlich wachsen. Obwohl etwa ein Telefon zwölf Jahre lang ohne Probleme funktionieren könnte, wird es im Schnitt nach fünf Jahren gegen ein neues Modell ausgetauscht. Dasselbe gilt für Laserdrucker oder Kopierer. Auf dem Computermarkt sorgt ein Wechselspiel von speicherfressenden Softwareneuheiten und Preisstürzen bei Mikrochips dafür, daß PCs auf dem Schreibtisch nicht alt werden.

Darüber hinaus sind IuK-Geräte häufig voll mit Schadstoffen. Schon bei der Produktion entstehen enorme Mengen an zusätzlichem Abfall. Standby-Schaltungen, die heute bei keinem kundenfreundlichen Gerät mehr fehlen, verschwenden jährlich allein in Deutschland Milliarden Kilowattstunden Strom, während sie auf das „Ein“-Kommando der Fernbedienung warten. All dies scheint aber kaum jemanden zu interessieren: Nur ein Prozent aller Ökobilanzen für Produkte entfallen bislang auf IuK-Geräte.

Soll sich das ändern, sind Innovationen für nachhaltige IuK-Geräte nötig. Die wichtigsten Ansätze hierzu sehen die IZT-Forscher im „Design for Environment“ (DfE) und im „Roadmapping“, die in den USA entwickelt wurden. DfE ist ein Produktmanagement, bei dem Umweltkosten, Risiken und Abfallentstehung von Anfang neben herkömmlich Kostenabschätzungen in die Entwicklung einbezogen werden. Beim Roadmapping wird in den USA seit 1996 der umweltverträgliche Lebensweg eines Produkts generalstabsmäßig geplant: von der Idee als Teil der Firmenstrategie bis zur Entsorgung.

Innovationen brauchen aber im Schnitt sechs bis zehn Jahre Zeit, um sich am Markt durchsetzen zu können. In der IuK-Branche eine Ewigkeit. Da können gute Konzepte wie der grüne Fernseher von Loewe Opta durchaus floppen. „Der Markt allein reicht hier nicht“, sagt Siegfried Behrendt, einer der Autoren der IZT-Studie. Klare rechtliche Rahmenbedingungen seien nötig, wie etwa eine Altgeräteverordnung, die Rücknahme und Entsorgung von Elektronikmüll regelt. 1991 vom damaligen Umweltminister Töpfer angekündigt, verschwand sie für Jahre in Ministeriumsschubladen und wurde erst im Mai dieses Jahres verabschiedet. „Wir haben dadurch Jahre verloren“, kritisiert Rolf Kreibich, Jahre, in denen Hersteller nicht wußten, ob sich ihre Investitionen in die Recyclingfähigkeit ihrer Produkte irgendwann rechnen würden. Von Selbstverpflichtungen der Industrie hält Kreibich nichts mehr. Schon 1987 habe man bei der IuK-Branche von Selbstverpflichtung geredet, aber: „Die haben die Sache dann auf die lange Bank geschoben.“

Die IZT-Forscher schätzen, daß die gesamte Rohstoffmenge, die in PCs, Fernsehern und anderen Geräten steckt, frühestens im Jahr 2007 abnehmen wird. Solange werden Investitionen ins Rohstoffsparen noch durch steigende Absatzmengen aufgefressen.